Lieber Shomer und lieber Poetry, ich spreche euch beide jetzt einmal an, natürlich auch alle anderen Mitleser.

Ich bin kein Christ und kann als Außenstehender, der eigentlich nicht außen steht, sondern im regen Kontakt und Austausch mit Christen, nur meine Beobachtungen mitteilen.
Meine Auseinandersetzung mit dem Christentum basiert auf der Nachfrage, wie das Christentum auf Grund seiner Geschichte, sich heute definiert!

Ich meine damit nicht nur die neuere Geschichte, sondern wesentlich mehr noch interessiert mich dabei die frühkirchliche Entwicklungsgeschichte. Denn wie bei Menschen üblich, werden die Wege einer Entwicklung in der Kindheit gelegt und nicht im Erwachsenenalter!

Die Ausführungen von Shomer setzten genau an diesem Punkt an, indem er (so verstehe ich es zumindest) die „Axt“ seiner Argumentation an der Wurzel des Christentums ansetzt und genau das ist es, was die Schärfe seiner Worte ausmacht. Es ist die grundsätzliche Infragestellung des inhaltlichen Wesens dieser Religion, es ist das Nachfragen nach der Wurzel aus der sich das Christentum nährt.
Für Juden ist diese Betrachtungsweise gerade zu existenziell wichtig, wie uns die Geschichte der letzten 1700 Jahre gelehrt hat.

Hier geht es lieber Poetry nicht um gegenseitige Verteufelung, sondern, zumindest für mich, um die Nachfrage, was ist in dieser Religion falsch gelaufen? Wo liegen die Ursachen für die schlimmen Entgleisungen dieser Religion, die sich doch selbst als einzig wahre definiert?
Ich setze hier die Messlatte mit einem Jesuswort an: Ein guter Baum kann keine schlechten Früchte hervorbringen und ein schlechter Baum keine guten Früchte….!

Allein die Aussage, dass waren keine echte Christen, die durch ihre Handlungsweisen das Christentum so geschädigt haben, sind wirklich nur oberflächliche Rechtfertigungsversuche, denn das Christentum ist in sich nicht nur eine Religion, es ist eine Kultur, in dessen Kreis der Mensch hineingeboren wird, die Wertevorstellungen, das Rechtsverständnis und die Ethik bestimmt wird.

Für Juden ist die eigene Fehlersuche relativ leicht, sie sind nämlich ziemlich offensichtlich im Tenach dargelegt und geschildert, ja gerade zu symptomatisch überliefert. Unser Zensor ist Gott und das ohne falsche Bescheidenheit zur Kritik an seinen Volk, welches Ihn immer wieder durch sein all zu menschliches Verhalten in höchstes „Erstaunen“ versetzte. Selbst ein Jesus hat ganz ungeschminkt und offen gesagt, was „Tacheles“ ist. Doch wer die jüdische Geschichte kennt, der weiß, dass das Judentum mit sich selbst einen ziemlich schonungslosen Umgang hegt und pflegt, der für Außenstehende ziemlich befremdlich erscheinen mag, da er gerade zu offenbar werden lässt wie fehlbar und ungöttlich wir in unserem Tun und Handeln, im Glauben und Hoffen sind. Doch wie die Weisen Rabbinen schon erkannten: „ Wer sich nicht selbst vom Thron der scheinbaren „Göttlichkeit“ herabsetzt, der wird herniedergeworfen, von Gott!“ Oder in den Worten Jesu: „Wer sich nicht selbst herniedersetzt, der wird zu Boden geworfen“. (Übrigens kennt das Judentum keinen Wortbegriff der mit „Erniedrigt“ übersetzt werden könnte!!!)

Genau hier, so sehe ich es zumindest, fehlt dem Christentum ein ganz entscheidender Faktor, der Zensor! Er wurde ersetzt durch ein ganz merkwürdiges Heils- und Gnadenverständnis, dass dem Judentum so gänzlich fremdartig, ja man muss sogar sagen abartig erscheint, da faktisch die Eigenverantwortlichkeit für eigenes Tun und Handeln, durch Gnade und Barmherzigkeit aufgelöst werden. Gott wird zum guten Onkel gemacht, der jeden armen Sünder gerne durch ein paar Worte der Schuldeinsicht vergibt und dann königlich belohnt. Jesus wird zu einem Heilsgaranten empor theologisiert, obwohl dieser Jesus selbst diesem Ansinnen klar widerspricht!!! (z.B. Mt. 7/21 - 23)

Der evang. Theologe Thielike sagte einmal: Die Bergpredigt Jesu ist zu einer Rechtfertigungslehre für alles und jeden verkommen, die scharfen Zähne wurden ihr gezogen, damit sich an ihr niemand verletzt.

Was sagte Jesu zu den Baum der schlechte Früchte bringt, um an sein Gleichnis anzuknüpfen, man reiße ihn aus und verbrenne ihn.

Es stellt sich die Frage, wie lange kann es sich das Christentum noch leisten, sich seiner wahrhaftigen Wurzeln selbst zu entziehen um aus anderen Wurzeln zu naschen?

Besorgnis macht sich auch bei mir breit, wenn ich mir heute das Christentum in seiner Gesamtheit anschaue. Eine in sich tief gespaltene Religion, die teilweise einzig nur noch denselben Namen hat. Ein Religion, die zum einen, eine ganz neue traditionelle Frömmigkeit hervorbringt, die gerade zu antike Formen wieder aufleben lässt (Marienkulte, Heiligenkulte, etc.) und wohl noch schlimmer, einen Fundamentalismus zu Tage fördert, der beängstigend ist, wenn man sich vorstellt, dass diese Worte die dort verwendet werden, auch so umgesetzt werden.

Als „Außenstehender“ seien mir solche Gedanken erlaubt, denn ich glaube Geschichte, zumindest zum Teil, verstanden zu haben: Kohelet: Was geschehen ist, wird wieder geschehen, / was man getan hat, wird man wieder tun: / Es gibt nichts Neues unter der Sonne.
Worte von Gelehrten/Gesalbten sind wie Ochsenstecken, / Sprüche aus Sammlungen aber sitzen wie eingetriebene Nägel - / sie sind die Gabe eines einzigen Hirten. .
Im übrigen, mein Sohn, laß dich warnen! Es nimmt kein Ende mit dem vielen Bücherschreiben, und viel Studieren ermüdet den Leib. Hast du alles gehört, so lautet der Schluß: Fürchte Gott, und achte auf seine Gebote! Das allein hat jeder Mensch nötig. Denn Gott wird jedes Tun vor das Gericht bringen, das über alles Verborgene urteilt, es sei gut oder böse.


Samu