Es ist leicht, in einer Zeit und einem Staat mit Demokratie, Meinungsfreiheit und einklagbaren Grund- und Menschenrechten die Nase über jene zu rümpfen, die im Dritten Reich geschwiegen haben. Ausgenommen diejenigen, die in der DDR aufgewachsen sind, weiß niemand hier, wie es ist, in einer Diktatur zu leben, wenn man permanent fürchten muss, von eigenen Familienmitgliedern (absichtlich oder unabsichtlich) ans Regime verraten zu werden, wenn man niemandem trauen kann, wenn man sogar für missliebige Äußerungen mit Folter und Haft rechnen muss, für aktiven Widerstand mit dem Tod. Selbst die, die in der DDR aufgewachsen sind, haben das nicht in der Schärfe des Dritten Reiches erlebt.
Dazu kommt noch, dass er einzelne kaum etwas tun konnte. Wirklich etwas bewirken konnte man nur, indem man Juden oder verfolgte politische Gegner versteckte, aber sonst? Die "Weiße Rose" bewirkte mit ihren Flugblättern rein gar nichts, sie starben umsonst. Dass es nicht so einfach war, der Schlange das Haupt anzuschlagen, also Hitler umzubringen, sieht man an der Vielzahl von gescheiterten Attentaten. Doch selbst wenn eines gelungen wäre, hätte das vermutlich nicht den Zusammenbruch des Nationalsozialismus bewirkt.
Nicht jeder Mensch ist zur Scholl oder zum Stauffenberg geboren, und wenn jetzt jemand (insbesondere jemand mit Familie) hier behauptet, wenn er im Dritten Reich gelebt hätte, hätte er ohne zu zögern Folter und Tod (und die Sippenhaft, also KZ, für seine Angehörigen) in Kauf genommen, um etwas zu tun, dann glaube ich ihm das nicht so wirklich.
Lesezeichen