Geburt und Tod

„Nackt wie er kam aus der Mutter Schoss, geht er wieder hin, und nimmt Nichts mit für all sein Mühen.“ (Kohelet 5,14)

Ein Fuchs fand einen Weinberg und wollte sich recht gütlich tun. Aber der Weinberg war eingezäumt und von allen Seiten stets verschlossen, und er konnte nicht hinein. Endlich fand er irgendwo ein Loch im Zaun; aber das war viel zu eng, als dass er hätte durchschlüpfen können.
Was tat der Fuchs? Er fastete drei Tage lang, bis er so abgezehrt und mager war, dass er sich durchzwängen konnte. Nun ass er nach Herzenslust und schwelgte in der Fülle.
Wie er aber wieder aber zurück wollte und hinaus ins Freie, ging es wieder nicht; denn nun war er voll und feist.
Was war zu tun? Er fastete wieder drei Tage lang, bis er abgezehrt und mager war, und ging hinaus, wie er hineingekommen.
Und wie er draussen war, da kehrte er sich dem Weinberge zu und sprach: „Ach wie schön bist du, wie schön sind deine Früchte; wir köstlich schön, was zu dir gehört? Aber – was nütztest du mir, was habe ich davon? Schwach und matt wie bei meinem Eintritt bin ich nun bei meinem Scheiden.“
Also ist es mit der Welt.
Wie der Mensch ist in die Welt gekommen, nackt und bloss, so geht er aus der Welt. Er geht wie er gekommen. Unter Unruhe und Getümmel kommt er in die Welt, in Unruhe und Getümmel geht er aus der Welt. Bewusstlos und besinnungslos kommt er in die Welt und geht aus der Welt.
In die Welt kommt er mit festgeschlossenen Händen, als wollte er sagen: die ganze Welt ist mein, ich fasse sie und lasse sie nicht. Und aus der Welt geht er, und strecke die Hände weit und offen aus, und zeigt der Welt, dass er nichts darin hat, da er das Seine nennen könnte

Mannheimer, aus: „Blüten rabbinischer Weisheiten“