Nichts ist umsonst

Einmal kam ein Mann zu Rabbi Israel Baal Schem Tow (dem „Bescht“, der 1698 bis 1760 lebte und den Chassidismus begründete) und schüttete ihm sein Herz aus:

„Rebbe“, rief er, „ich weiß nicht, was mit mir geschieht. Vor einer Weile beschloss ich, ganz dem Allm-chtigen zu dienen, und sofort wurde mein spirituelles Leben gestärkt. Wenn ich betete, fiel meine Seele in Ekstase; wenn ich die Torah studierte, öffneten sich mir die Tore der Weisheit; wenn ich eine Mizwa befolgte, war ich von herrlicher Freude erfüllt. Aber bald danach verlor ich alles. Meine Gebete sind trocken. Wenn ich studieren will, starre ich stundenlang auf die Seite, ohne ein Wort zu verstehen. Mein Tun ist mechanisch geworden, ohne Sinn. Rebbe, was ist geschehen?“

„Ich will dir eine Geschichte erzählen“, sagte der Bescht. „Einmal betrat ein Mann ein Delikatessengeschäft. Er sah, dass die Leute die Speisen mitnahmen, ohne zu zahlen, und zwar mit dem Einverständnis des Eigentümers. Also wollte auch er diese Großzügigkeit ausnutzen. Er probierte jede einzelne Speise und gönnte sich dann eine große Portion der besten.

„Das kostet 50 Kopeken“, sagte der Ladenbesitzer.

„Wie das?“ fragte der überraschte Kunde. „Warum verlangst du plötzlich eine Bezahlung? Bis jetzt durfte ich doch umsonst essen!“

„Nur weil es in meinem Interesse ist, dass die Leute meine Produkte probieren“, erwiderte der Besitzer. „So erfahren sie, wie gut die Speisen schmecken. Aber nachdem du sie gekostet und ihren Geschmack kennen gelernt hast, musst du bezahlen.“

„Im Leben gibt es nichts Wertvolles umsonst“, erklärte der Bescht, „schon gar nicht in spiritueller Hinsicht. Du darfst die innige Freude des Dienens nur erfahren, wenn du sie mit Ausdauer und Mühe bezahlst. Trotzdem bietet der Allm-chtige allen, die ihn mit reinem Herzen suchen, ein kostenloses „Pobieren“ an. Wenn wir seine himmlischen Produkte aber gekostet haben, müssen wir uns an die Arbeit machen.“

Quelle: Geschichten des Baal Schem Tov