Lieber Luxdei, ich stimme dir zu, in der Tat greifen hier wir bereits in den juristischen Begriffsbereich, nämlich aus dem römisch / hellenistischen Rechtsverständnis und unbestritten darf hier der gnostische Hintergrund nicht unerwähnt bleiben. Dass hier göttliche Wahrheit aus dem hellenistischen Verständnis bezeugt ist, zeigt sich daran, dass diese Wahrheit auch immer als Personifizierung göttlicher Macht auf Erden verstanden wurde – nämlich im göttlichen Kaiser. Dieser Hintergrund hat sich sogar bis heute erhalten, allerdings in einer kulturgeschichtlichen Abwandlung als Justitia (mit Rechtswaage).
ἀλήθεια = aletheia ist ein Prädicatsnomen und juridischer Rechtsbegriff insbesondere bei Aussage / Wahrheit bezeugen / wahre Umstände aufzeigen / die Wirklichkeit betreffend – auf wirkliche Umstände bezogen /
Zugleich Würdezeichen (Schmuckstück) der Ägyptischen Hohepriester (Alexandrien) und römischen Kaiser, die symbolisch die göttliche Wahrheit, Gerechtigkeit und Macht bekunden!
[Pape: Griechisch-Deutsch, S. 3456
(vgl. Pape-GDHW Bd. 1, S. 94)]
Der griechische Grundbegriff „aletheia“, wird erstaunlicher Weise im N.T. fast ausschließlich von den Johannesschriften und Paulus benutzt. Bei den synoptischen Evangelien findet man diesen bei Matth. 1 x, Markus 3 x, Lukas 3 x. Das gibt zu denken und gerade bei den Synoptikern stoßen wir auf eine andere Übersetzungswurzel – nämlich alethos = wahrhaft. Und genau dieser Fakt spricht deutlich für eine hebräische Sprachwurzel. Denn die hebräische Sprache der Zeit Jesu kennt überhaupt nicht das Wort Wahrheit, sondern den Begriff Wahrhaft - Sein oder aber und hier in der Mehrheit im Rechtschaffen / Gut – Sein = kalos. Genau diese Begriffswelt fehlt bei Johannes fast gänzlich (nur 2 x in Anlehnung an die Synoptiker lässt sich diese Begriffswelt finden) aber in den Synoptikern findet sich diese Tatsache überaus zahlreich wieder. Hier nun die hebräische Ursprungsform der Worte Jesu wieder her zu stellen ist eigentlich ein Leichtes, da wir eine ganz klar definierte Begriffswelt kennen, doch das würde in sich bedeuten, Jesus hat zweisprachig gesprochen, nämlich alexandriensches Griechisch (siehe oben Begriffserklärung) und Mischnaisch (der Umgangssprache zur Zeit Jesu) und es bedeutet auch, das er dann in zwei verschiedenen Geisteswelten sprach. Denn den eigentlich bildlichen Hintergrund zu aletheia den insbesondere Johannes verwendet, kann nur ein Mensch der hellenistischen Welt verstehen, die göttlich – personifizierte Wahrheit, wie sie hellenistisch – ägyptische Oberpriester oder gar die göttlichen Kaiser für sich beanspruchten. Die theologische Absicht der Autoren der Johannesschrift war somit für hellenistische Ohren klar zu verstehen, doch für hebräische Ohren müssen sie an der Begriffswelt gerade zu vorbei gehen. Dass dies so ist belegt uns das Johannesevangelium selbst auf ganz offensichtliche Weise, die man sogar in deutscher Form nachvollziehen kann, wenn man um den eigentlichen Ursprungssinn von dem Begriff „Wahrheit“ weiß. Dazu folgende Textstelle: Joh. 18/37 Pilatus sagte zu ihm: „Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“
Genau hier vollendet der Johannestext den theologischen Begriffsbogen zwischen göttlicher Wahrheit und Königlicher – Kaiserlicher Wahrheits- Legitimierung. Wahrheit kann nur der von sich beanspruchen der göttlich (im Sinne Hellenistischer Vorstellungen) ist und dies bleib Priesterschaft und Kaisertum vorbehalten.
Doch nun kommt die Paradoxie der ganzen Geschichte: 38 Pilatus sagte zu ihm: Was ist Wahrheit? Nachdem er das gesagt hatte, ging er wieder zu …. Pilatus fragt Jesus nach dem Begriff Wahrheit und komischer Weise bekommt er keine Antwort, obwohl noch eben Jesus ausführlich darüber gesprochen haben soll. Dann bricht ganz unvermittelt der Text ab und beginnt mit einem weiterführenden Handlungsrahmen. Eine Antwort erhält Pilatus nicht! Warum nicht, zumal Jesus nur wenig vorher sagt: Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme. Warum verstummt diese Stimme plötzlich obwohl sie jemand befragend hören will?
Nun, Jesus dürfte an dem Begriff aletheia gestockt haben, der ihm fremd sein musste, zumindest dann, wenn er nicht der hellenistischen Begriffswelt mächtig war.
Es lohnt sich immer wieder das N.T. in Griechisch und seinen Begriffswurzeln zu lesen. Es offenbaren sich doch erstaunliche Hintergründe.
Samu
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