Weißt du Tommy, der Begriff „URTEXT“ klingt so, als ob es etwas Originales, Authentisches, Unverfälschtes und Unübersetztes (also in dessen Sprache und aus seinem Kulturkreis) von einem Verfasser ist.
Quelle „Q“ ist deshalb genauer, weil es das bezeichnet was es ist, ein Rekonstruktionsversuch, weil es keine Originale / Urtexte mehr gibt, sondern nur redaktionell überarbeitete Textvorlagen, die sich im Verlauf von über 300 Jahren entwickelt haben. Bei allem Fortschritt auf dem Sektor der Textrekonstruktion sind sich die Textforscher heute in einem Punkt einig, auch Q geht nicht auf Jesus zurück, sondern entstammt Wanderpredigern, die Jesus live erlebt haben. Jesus selbst hat wohl keinerlei schriftliche Zeugnisse hinterlassen.
Was als großer Erfolg gewertet werden kann und hier können wir auf die Aussagen von Kirchenvätern zurückgreifen, ist der Tatbestand, dass die Verkündigung der Jünger Jesu gut rekonstruierbar ist. Faktisch lehrten sie basierend auf der Rekonstruktion von „Q“: Über Jesus selbst sagt Q anderes, als man aus der Paulus- und Markustradition kennt: Der Tod am Kreuz wird nicht erwähnt, ebenso wenig die Auferstehung oder die Heilsbedeutung dieser Ereignisse. Für Q liegt die Bedeutung Jesu auf anderer Ebene: Er ist der von Gott kommende prophetische Bote der Weisheit bzw. deren Inkarnation (s. Q 7,35; Q 11,49), er übertrifft selbst Salomo an Weisheit (Q 11,31), doch er unterliegt dem üblichen Schicksal aller dieser Boten und wird angefeindet (Q 7,31-35).
Q verwendet als Hoheitstitel nicht „Meschiach“ bzw. griechisch „Christus“, auch der „Sohn Gottes“-Titel begegnet nur in den biographisch-narrativen (und damit wahrscheinlich erst der Endredaktion zuzuschreibenden) Stücken der Taufe und Versuchungen (Q 3,22; Q 4,3.9). Die Wort-Verkündigung Jesu dominiert in Q (anders als bei Markus, wo Jesus eher der messianische Wundertäter ist). Das Wunder der Heilung des Sklaven des Zenturio (Q 7,1.3.6b-9.10) unterstreicht eher die Macht des Wortes. Die Wundertaten von Q 7,22 werden weniger erzählt, um von Jesu heilendem Tun zu berichten, sondern vielmehr um zu zeigen, dass Jesus die heilseschatologischen Erwartungen des Jesajabuches zu erfüllen beginnt bzw. dass diese Erwartungen zu Recht weiter bestehen und auch als jüdische Hoffnung auf eine heilvolle Zukunft ihre Gültigkeit behalten. Es geht Q weniger um die Wunder, die der historische Jesus getan hat, sondern darum, die aus der Eschatologie des Jesajabuches gespeisten Hoffnungen der Zeitgenossen mit der Person Jesu zu verbinden: Wer sich Jesus anschließt, wird derartiges Heil dereinst erleben.
Wenn Q eine messianische Bezeichnung für Jesus verwendet, dann ist es Menschensohn. Dabei ist die Verwendung des Begriffs vielschichtig und ambivalent. An bestimmten Stellen zeigt sich noch die aus dem Aramäischen (und auch dem Ezechielbuch) bekannte nichttitulare Verwendung von „Menschensohn“ als Umschreibung für „ich“ (Q 9,58; Q 12,10). Auch die Stellen Q 6,22 und Q 7,34 können im Grunde so gedeutet werden, wenngleich hier nicht an Jesus in seiner „Menschlichkeit“ gedacht ist, sondern der Anspruch Jesu als des von Gott gekommenen eschatologischen Boten deutlich wird, an dem sich Wohl und Wehe der Menschen entscheiden, je nachdem, ob sie Jesus folgen oder nicht. Die anderen Menschensohn-Belege sprechen vom zukünftigen Kommen des Menschensohnes, mit dem das Gericht einhergeht (Q 11,30; Q 12,8; Q 12,40; Q 17,24.26.30). Diese Verwendungsweise rezipiert offensichtlich eine frühjüdische Deutung von Dan 7,13-14, die die ursprünglich als metaphorisch-symbolische Repräsentanz der Frommen und Getreuen in Israel gemeinte menschenähnliche Gestalt als Individuum deutet und so daraus eine eschatologische Rettergestalt macht. Im Kontext von Dan 7 ist der Menschengestaltige eine Gegenfigur zu den vier die Weltreiche repräsentierenden Tiermonstern; er verkörpert die Getreuen in Israel, die schließlich von Gott ein ewiges Königtum erhalten und eine Weltherrschaft mit menschlichem Antlitz ausüben werden. Schon im Frühjudentum wird aus dem, „der wie der Sohn eines Menschen aussieht“, ein endzeitlicher Retter als individuelle Gestalt. Q greift diese Erwartung auf und identifiziert sie mit Jesus und der Erwartung der Wiederkunft Jesu als Richter. Vermutlich erfolgt diese Identifikation und damit die eschatologische Aufladung der Person Jesu erst auf der Ebene der Q-Redaktion und zur Zeit der krisenhaften Zuspitzung der Lage um 70 n. Chr..
Nichts anderes wird uns von den Kirchenvätern über die Glaubensinhalte der ersten jüdischen Jüngergemeinschaft berichtet, die Jesus live erlebte und dessen Nachfolger noch bis zum 400 Jahrhundert existierten.
Absalom
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