@Zeuge
1311 ging Meister Eckhart zum zweiten Mal als Magister nach Paris. Das war eine ehrenvolle Berufung. Nur zwei Deutsche hatten sie vor Eckhart erreicht: Albertus Magnus und Dietrich von Freiberg. Eckhart lebte 1311 im Dominikanerkloster Saint Jacques. In diesem Hause, in dem auch Thomas von Aquino und Albert gewohnt hatten, gab es 1311 ein kontroverses Thema: Eine Frau namens Marguerite Porete hatte ein Buch geschrieben. Dass eine Frau über Gott schrieb, noch dazu in der französischen Volkssprache, das war schon verdächtig. Dann handelte dieses Buch auch noch von radikaler geistiger Armut. Es hieß „Le miroir des simples ames“. Marguerite wurde gefangen genommen, es kam zu einem mehrjährigen Inquisitionsprozess. Margerite verweigerte den Widerruf. Der maßgebende Inquisitor war der Dominikaner Wilhelm von Paris; er wohnte wie Eckhart in Saint Jacques. Er verurteilte Marguerite; sie wurde am 1. Juni 1310 auf der Place de Grève bei lebendigem Leibe verbrannt; ihr Buch mit ihr.
Deren Text ist glücklicherweise erhalten. Er spricht von selbstvergessener Liebe der Seele zu Gott. Die Seele wird in reiner Liebe zu Nichts. Nichts hat sie mehr, nichts weiß sie mehr, nichts will sie mehr. Marguerite schreibt: Fragen wir eine solche Seele, ob sie ins Paradies wolle, so sagt sie: nein. Sie begehrt nichts. Weil sie „vernichtet” ist, kennt sie keine Zwecke mehr; ihr Leben bleibt frei von Zielen, von Tugenden und Geboten. Sie braucht keine Außenregulierung. Dies hielten Kirchendenker – und Kirchenbehörden für gefährlich, mit Grund. Sie beantworteten die Bedrohung ihres Systems, indem sie die junge Frau verbrannten.
Eckhart, der sich zeitlebens auch für die Frauenklöster, die Beginen verantwortlich sah und aus seinem Glauben der Einheit heraus, wohl auch ein völlig gleichberechtigtes Frauenbild hatte, versuchte in der Folge den Gedanken der verurteilten Frau aufzunehmen und ihn orthodox akzeptabel zu machen. Der sichtbarste Ausdruck dafür dürfte seine berühmte Armutspredigt sein:
http://www.zeno.org/Philosophie/M/Me...+Von+der+Armut
Das heißt, dass ich natürlich nicht wissen kann, woher Eckhart seine Erkenntnisse hatte, aber er war ein Kind seiner Zeit und die war wissenschaftlich neuplatonisch geprägt und die zahlreichen Verweise in seinen Predigten auf andere Meister machen deutlich, dass er insgesamt umfangreich gebildet war und auch nicht davor zurückschreckte sogenannte heidnische Meister zu zitieren und sich auf sie zu beziehen. Aber eine besondere Stellung in seinen Werken nehmen besonders Augustinus und der jüdische Philosoph Maimonides ein.
Außerdem wendet sich Eckhart in seinen deutschen Werken ausdrücklich auch und besonders an die „ungelehrten Leute“. Er verwirft die Vorstellung einer nur den theologisch gebildeten Lateinkundigen zugänglichen Wahrheit, die vor dem einfachen Volk zu verbergen sei. Nach seiner Überzeugung soll man auch die erhabensten Lehren der allgemeinen Öffentlichkeit verkünden, denn die Ungelehrten seien diejenigen, die der Belehrung bedürfen. Das Risiko, dass manches nicht richtig verstanden wird, sei in Kauf zu nehmen.
Die Schriften Eckharts blieben nicht zuletzt aufgrund seiner großen Beliebtheit im „einfachen Volk“, trotz seiner Verurteilung lebendig und das halte ich persönlich für ein sehr eindeutiges Indiz, dass Eckhart nicht nur von der Kanzel herab lehrte, sondern in gelebter Nächstenliebe, half wo er konnte.
Ich hatte ja schon im vorherigen Post geschrieben, dass Eckhart kein Lehr-, sondern ein Lebemeister sein wollte und auch immer die Möglichkeit in Betracht zog, dass er sich täuschen könnte, dass seine Lehre also Mängel behaftet war. Aber er meinte auch gleichzeitig, dass er niemals ein Ketzer sein könnte, also niemals ein Mensch, der Gott nicht aufrichtig und von Herzen lieben und folgen würde. Das halte ich für eine sehr vernünftige, redliche Stellung, der ich mich sofort vollumfänglich anschließen möchte.
Du hast da ein sehr interessantes Beispiel angesprochen: das ptolemäische Weltbild. Dieses Weltbild ist nicht völlig falsch. Du kannst vermöge des ptolemäischen Weltbildes ein Schiff sicher und präzise von einem Hafen zum nächsten navigieren. Es war in der Genauigkeit seiner Bahnvorhersage sogar dem heliozentrischen Weltbild des Kopernikus überlegen. Aber ab einem gewissen Punkt, unter einem bestimmten Betrachtungswinkel, stimmt es dann nicht mehr und erweist sich als falsch. Ähnlich ist es auch in der Physik. So ist die Newtonsche Physik nicht völlig falsch, benötigt aber ab einem gewissen Punkt quasi eine Erweiterung – die Relativitätstheorie. Vielleicht ergeht es der Relativitätstheorie eines Tages so ähnlich und erweist sich zwar ebenfalls nicht als völlig falsch, bedarf aber zur vollständigen Erklärung aller Phänomene auch einer zusätzlichen Erweiterung...
Eckhart erhebt gar nicht den Anspruch die letztgültige Begründung und allumfassende Wahrheit gelehrt zu haben. Er hat seinen Ansatz, als Kind seiner Zeit formuliert und dabei gleichzeitig sehr viel über die Gesinnungsbildung, die Du ebenfalls ansprachst, zum Ausdruck gebracht.
Jesus hatte, z.B. in seiner Bergpredigt, Wesentliches zum Thema Gesinnung zum Ausdruck gebracht. Nun wird sich aber wohl kaum Jemand ein Auge ausreißen, wenn er lüstern einer fremden Frau hinterher schaut, oder die Hand abhacken, wenn diese ihn zur Sünde verleiten möchte, aber sicher ging es Jesus auch nicht um Anwendung roher Gewalt gegen sich selbst, sondern um die rechte Gesinnung. Er radikalisiert sozusagen die Gebote Gottes und bringt zum Ausdruck, dass es nicht reicht die Gebote äußerlich zu halten, sondern sie sollen innerlich, die Gesinnung des Menschen betreffend, auch das Denken und Fühlen beeinflussen.
Eckhart nimmt genau diese Gedanken auf und erklärt woraus diese Gesinnung geboren wird. Aus der Einsicht in die transzendent Einheit von Allem in Gott. Wenn ich mich substantiell mit Allem nicht nur verbunden weiß, sondern als einiges Eines betrachte, das in den weltlichen Strukturen nur auf unterschiedlichste Weise, in seiner jeweiligen Eigenart ausfließt, dann kann ich aus meiner Gesinnung heraus (dem Glauben an eben diese Einheit) nicht anders als lieben, wie ich mich liebe, bin ich doch substantiell identisch mit der so oder so aus dem göttlichen Urgrund fließenden Mannigfaltigkeit.
Eckhart formuliert keinen exklusiven Zugang zu Gott, der nur einigen Wenigen Auserwählten zur Verfügung stünde, sondern er erklärt auf ganz natürliche Weise, dass alles Kreatürliche und Geschaffene vergänglich und vorrübergehend ist und nur das Ungeschaffene (er nennt es den Seelengrund) Zeitlosigkeit besitzt.
Die Kluft zwischen dem ewigen Gott und dem vergänglichen Geschaffenen ist bei Eckhart so tief, dass nichts Geschaffenes einen Zugang zu Gott finden kann. Das Untere fasst und begreift das Obere nicht, sagt er. Die Beziehungen zwischen Gott und seinen menschlichen Geschöpfen stehen aber im Mittelpunkt der christlichen Lehre, und auch Eckharts Denken kreist um sie. Diesen Widerspruch beseitigt Eckhart, indem er die menschliche Seele hinsichtlich ihres Kernbereichs nicht dem Bereich der geschaffenen Dinge zuordnet, sondern ihr eine göttliche Qualität zuspricht. Die Gottheit selbst ist unmittelbar zuinnerst in der Seele ständig anwesend. Somit ist in der Seele etwas, dem die Ungeschaffenheit, Unvergänglichkeit und Eigenschaftslosigkeit der Gottheit zukommt. Der Kernbereich der Seele ist ewig und einheitlich wie Gott, genauer gesagt wie Gott als „Gottheit“ oberhalb der Dreifaltigkeit. Eckhart spricht ausdrücklich von einem „Teil“ der Seele, der im Unterschied zu den anderen Teilen „gottgleich“ ist. Der göttliche „Teil“ der Seele ist aber nicht ein Teil eines Ganzen neben anderen Teilen, sondern von all dem in der Seele, was geschaffen ist, seiner Natur nach fundamental verschieden. Ausdrücke wie „Teil“ und „in der Seele“ scheinen eine Position anzudeuten. Sie sind aber nur in einem übertragenen Sinn gemeint, denn sie erwecken die Vorstellung einer räumlichen Struktur, womit sie der gemeinten Realität nicht gerecht werden.
Der göttliche Kernbereich der Seele, ihr „Innerstes“, ist der zeit- und raumlose „Seelengrund“, in dem völlige Ruhe herrscht. Eckhart verwendet dafür auch andere Bezeichnungen. Unter anderem spricht er vom „Fünklein“ oder „Bürglein“, vom „Höchsten“, „Lautersten“ oder „Haupt“ der Seele; auch mit dem „Intellekt als solchem“ meint er den Seelengrund. Er betont aber auch, dass der Seelengrund eigentlich so wie die Gottheit namenlos ist. Das Fünklein leuchtet immer, ist aber verborgen. Der Seelengrund steht so hoch über der Sinneswelt wie der Himmel über der Erde. Von diesem unwandelbaren Kernbereich unterscheidet Eckhart die äußeren Bereiche, in denen sich die Tätigkeiten der Seele abspielen. Dort treten die Ausdrucksformen ihrer weltlichen Aktivität wie Begehren, Gedächtnis und Wille in Erscheinung. Sie werden benötigt, damit die Seele den Erfordernissen ihrer Verbindung mit dem Körper Genüge tun und mit den geschaffenen und vergänglichen Dingen in Kontakt sein kann. Davon ist der Seelengrund abgetrennt; die Eindrücke, die aus der Welt der Sinneswahrnehmung einströmen, erreichen ihn nicht. Er ist ihnen so fremd und fern wie die Gottheit, denn der Seelengrund ist von der Gottheit ununterschieden.
Von den vergänglichen und daher nichtigen Aspekten seines Daseins kann der Mensch sich emanzipieren, indem er sich dem zuwendet, was in ihm – das heißt in der Seele – göttlich ist. Dank Gottes Anwesenheit in der Seele ist ihre Selbsterkenntnis Gotteserkenntnis. Unter diesem Aspekt sind alle menschlichen Seelen gleich. Die hier gemeinte Gotteserkenntnis ist nicht eine reflektierte, in der ein Subjekt einem Objekt betrachtend gegenübersteht, sondern eine unmittelbare, in der keine Distanz zwischen dem Erkennenden und seinem göttlichen Erkenntnisobjekt besteht. Während bei einer reflektierten Erkenntnis eine Abstraktionstätigkeit stattfindet, mit der aus einem Abbild dessen Urbild erschlossen wird, vollzieht sich die Gotteserkenntnis ohne jegliche Vermittlung: Das muss geschehen ohne Mittel und Jederart Vermittlung ist Gott fremd.
Ein solches Denken erfordert also die Zuwendung zu Gott, d.h. die Einbeziehung Gottes in jedwede Lebensentscheidung, das Handeln in rechter Gesinnung unter dem Aspekt der Gottesebenbildlichkeit und bildet dadurch die natürliche (philosophische) Erklärung für Jesu Gebot der Nächsten- und Feindesliebe.
LG
Provisorium
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