@absalom

ich danke Dir für Deine sehr ausführliche Antwort.
Du hast offensichtlich hervorragende Kenntnis über die Entstehung der Bibel und den sich allein schon aus diesen wissenschaftlichen Tatsachen heraus ergebenden Schwierigkeiten mit der Auslegung derselben.
Es tut gut jemanden hier zu wissen, der zunächst mit dem kühlen Kopf des Wissenschaftlers an den ganzen, teils doch hoch emotional geführten Diskurs herangeht!

Über Paulus könnte man sicher ein eigenes Thema eröffnen, soviel gäbe es über seine Person, seine Theologie und seine Bedeutung gerade für das Christentum zu sagen...

Meines Wissens lehnt das Judentum die Septuaginta ja schon seit antiker Zeit als gültige Schrift ab, was den Missionaren Paulus, der auf dem Areopag zu Griechen sprach (Apostelgeschichte 17,19ff) aber wohl nicht weiter gestört haben dürfte, wollte er doch nach eigenem Zeugnis den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche und den Schwachen ein Schwacher sein ( 1. Korinther 9,20-22). Seine Priorität lag wohl dementsprechend eher darin, möglichst vielen das Evangelium zu predigen und dabei auch auf schon bekannte Schriften, Rituale, Bräuche und eben allem, was für die Sache nützlich war, zurückzugreifen.
Das Christentum hat im Laufe seiner Geschichte ja sehr viele so genannte heidnische Bräuche adaptiert und integriert, man denke nur an Weihnachten.

Aber selbst verbindliche Dogmen, wie das der Trinität Gottes, hat das Christentum von damals „kursierenden Vorstellungen“ übernommen. Hier speziell sogar von einem erklärten Christenfeind, nämlich Porphyrios, einem Neuplatoniker und Schüler Plotins.

Das ist alles sehr interessant und zeigt sehr deutlich die Bemühungen alles zu prüfen und das Gute zu behalten;)
Ohne Interpretation geht’s halt nicht und schlimm genug, dass man sich in den Interpretationsprozessen soviel Leid angetan hat und noch heute antut.
Deshalb halte ich es persönlich für wichtig die Heiligen Schriften (also nicht nur die der Christen...) als Bücher der Weisheit und Inspiration zu wahren, ihre Interpretation aber niemals als einzig gültigen Weg zu Gott zu betrachten, oder als verbindlichen Willen Gottes anzusehen.

Zum Schluss hast Du die Frage gestellt wie vieler Schriftwerke ein Mensch bedürfe um „Gott“ wirklich aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele und mit all seinem Sein zu folgen?
Und meine Antwort dazu lautet: Letzlich keiner!

Ich bin davon überzeugt und erlebe es in meinem Leben so, dass das Wort in das Herz eines jeden Menschen geschrieben ist und sich nur sehr unvollkommen zwischen Buchdeckeln finden lässt.
Damit lässt sich aber nur sehr schlecht Religion machen, weil es meiner persönlichen Überzeugung nach fast zwangsläufig eine negativ theologische Sicht zur Folge hat. Und so frei wollen wir Gott nun auch wieder nicht sein lassen, vielleicht weil wir Angst haben ihn dann ganz zu verlieren, oder dessen letzgültige moralische Vorschriften, die uns davor bewahren selbst Gott zu spielen?

„Du sollst“ steht über unser aller Leben geschrieben.
Wenigstens - du sollst leben, geboren sein!
Wir Menschen können heutzutage auch dieses „du sollst“ aus mehr oder minder guten Gründen verhindern und unterbinden, beeinflussen.
Vielleicht hat Gott die Verantwortung für seine Schöpfung ganz in unsere Hände gelegt? Vielleicht lässt er uns ziehen und frei sein?
Aber vielleicht ist da auch etwas in uns, dass uns zu Gott zieht und uns nur in ihm wirklich frei sein lässt?
Das muss jeder für sich selbst herausfinden.

LG
Provisorium