@dispicio
Du hast geschrieben: Aber was heißt das: "im Kleinen"? Monadenhafte Enklaven von Gemeindegemeinschaft in einer ansonsten individual-egozentrisch geprägten Welt? Das kann wohl kaum funktionieren. Wir müssen beginnen, uns Gedanken zu machen, wie das im Großen umgesetzt werden kann. Am Ende steht die menschliche Gemeinschaft ohne Staat, in der Einsicht und Freiwilligkeit das Zusammenleben prägen, in der Gemeinschaft eine Sache des Herzens ist und nicht der Staatsräson.
Mit „im Kleinen“ meinte ich eine Gemeinschaft, die gemeinsam zur Einsicht gekommen ist, freiwillig ihr Gemeindeleben nach den von Zeuge angerissenen Maßstäben zu gestalten. Ich habe so etwas ähnliches während meiner WG-Zeiten immer wieder erlebt.
Deinen Beispielen mit dem bedingungslosen Grundeinkommen und der Verstaatlichung des Bankenwesens stehe ich auch sehr offen gegenüber, aber es gibt überall auf der Welt derart mächtige Interessengruppen, die sich über ihre Macht definieren und die ihren Einfluss immer zu ihren eigenen Gunsten geltend machen werden/wollen. Da sehe ich die von Dir entworfene staatenlose menschliche Gemeinschaft noch in sehr weiter Ferne. Nicht das es sich nicht lohnen würde daran zu arbeiten, sich dafür einzusetzen, aber das kann meiner Meinung nach eben zunächst nur im Kleinen geschehen.
Du hast geschrieben: Fundamentalismus ist so ein Wort. Es kommt immer drauf an, auf welchem Fundament man steht. Was ist mit dem totalen Marktfundamentalismus in dem wir in den reichen Industrienationen leben? Radikal und totalitär werden alle Lebensbereiche in eine Ideologie der Verwertbarkeit und des Profits gesogen. Selbst in Beziehungsfragen finden wird heute nichts Absonderliches dabei, davon zu sprechen, Gefühle zu investieren und genauestens darauf zu achten, dass sich unser Umgang mit Menschen auszahlt - wenn nicht in Heller und Pfennig, dann wenigstens psychosozial. Geholfen wird da nicht um der Liebe zum Nächsten willen, sondern um der Selbstliebe willen, um sich gut zu fühlen, um ein guter Christ zu sein, statt die Not eines anderen zu lindern. Religion als Wellnessspiritualität, die nur dort Umsetzung findet, wo sie sich gut anfühlt.
Das sehe ich genauso. Viele Menschen sind heute beständig auf einem Selbstverwirklichungstrip. Die Medien machen es ihnen vor, alles muss sich lohnen, muss zu mir passen, Ausdruck meiner Persönlichkeit sein – vom Klopapier bis zum Glauben, der allzuoft aus verschiedenen Religionen zusammengebastelt wird, je, wie es gerade passt und meiner Persönlichkeit zuträglich ist.
Hier hat sich der Mensch vollends in den Mittelpunkt gestellt und dreht sich dann beständig um sich selbst, dass es nicht wundert, wenn er daran ausbrennt. Der Leistungsgedanke ist aber mittlerweile zu einem regelrechten Dogma geworden, dem man sich z.B. beruflich kaum noch entziehen kann. Ich arbeite zum Beispiel im Nachtdienst und bin allein verantwortlich für 41 kranke Menschen, darunter viele Verwirrte und psychisch Kranke. Und ich arbeite bei einem christlichen Träger. In unseren Leitbild nimmt Christus eine zentrale Stelle ein – das war´s dann aber auch schon...
Aber gerade auch deshalb ist mein spiritueller Weg nicht ein Weg der Selbstverwirklichung, sondern im Gegenteil, der Selbstlosigkeit. Ich will mein Selbst los werden und mache dabei die wunderbare Erfahrung, dass auch Leid und Not in meinem Leben Platz und Sinn haben dürfen. Eben weil ich nicht krampfhaft an meinem Selbst festhalten muss und es in Gott fallen lassen darf...
Du hast geschrieben: Ein Fundament zu haben ist Grundlage des individuellen wie gesellschaftlichen Lebens. Das, auf dem wir stehen, ist ungerecht und menschenverachtend, weil es den Menschen nur hinsichtlich seiner Verwertbarkeit/Leistungsfähigkeit betrachtet. Das ist nicht normal. Wir sollten aufhören, es als gottgegeben hinzunehmen. Die Menschen sind nicht so - festgelegt auf ihre gierige, egoistische, sogenannte Natur. Wir sind frei in und mit Gott - nutzen wir diese Freiheit!
Das hast Du sehr schön gesagt und ich gebe Dir völlig Recht. Letztlich steht man immer auf irgendeinem Fundament. Der Fundamentalismus aber will dieses Fundament für alle zur tragenden Notwendigkeit machen und dagegen spreche ich mich aus. Statt also auf ein Fundament, sollten wir uns vielleicht eher auf unsere gemeinsamen Wurzeln besinnen und die Lebendigkeit des Baumes, mit seinen vielen Ästen und Zweigen, seinen Unterschlüpfen und Lebensraum spendendem Wesen zum Vorbild nehmen und Teil seiner Natur und Freiheit werden.
LG
Provisorium
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