Lieber Zeuge und liebes fishergirl,

bitte erlaubt mir auf eure beiden Posts parallel zu antworten.

Zunächst möchte ich erst Mal darauf aufmerksam machen, dass mein Herz nicht allzu stark an Meister Eckhart hängt. Sicher, ich habe ihn sehr häufig zitiert und bin auch sehr von ihm als Philosophen/Theologen und nicht zuletzt als Mensch fasziniert, aber ich wollte und möchte ihn hier nur als einen (wichtigen) Vertreter der negativen Theologie vorstellen, an der mein Herz zwar schon etwas stärker hängt, aber auch nicht in Gänze gebunden ist.

Im Vorstellungsthread habe ich mich halbironisch als Menschen präsentiert, der seinen Spaß am Vergänglichen habe und sich damit sehr gut identifizieren kann. Ihr seit herzlich eingeladen dort meine kleine Vorstellungsgeschichte zu lesen! Vielleicht fällt es dann leichter sich auch von meiner Person ein Bild zu machen.

Ich sehe Meister Eckhart und seine Lehre nicht als eine Art Weg, wie fishergirl meinte, und schon gar nicht als den einzigen, sondern ich persönlich habe mich Meister Eckhart philosophisch genähert (nicht mystisch!), eben weil ich philosophisch interessiert bin.

Ich mache meinem Verstand gerne Platz in meinem Leben (manchmal nimmt er ihn sich aber auch einfach) und ich hatte ja bereits geschrieben, dass ich auch im Verstand Gottes Stimme zu „hören“ vermag (nein, das ist nicht pathologisch) und das ist mir ein reicher Segen.

Das bedeutet aber keinesfalls, dass ich den Verstand höher erachte als meinen Glauben. Es ist eher so, dass die beiden, Verstand und Glaube, Hand in Hand mit mir durch mein Leben spazieren gehen. Wir diskutieren miteinander und vielleicht gibt es wie in jeder guten Beziehung auch mal Streit, aber die Liebe und Freundschaft zwischen uns ist echt und aufrichtig.

Ich sehe überhaupt keinen Grund hier in irgendeiner Art und Weise Probleme zu konstatieren und deshalb wirkt die ein oder andere Aussage von Dir, liebe fishergirl, ein wenig befremdlich auf mich und deshalb spreche ich dieses dann auch an. Zum Beispiel hat Du geschrieben:
alles was rein aus dem menschlichen hirn ersteht, kann nicht aus gott sein. ist also eher egoman und damit immer mit einem gewissen machtstreben behaftet.

Ich verstehe die beiden Sätze nicht (vielleicht fehlt es mir ja sogar an Verstand). Was meinst Du denn konkret damit? Und mit egoman (ich habe Jahre in der Psychatrie gearbeitet und kenn mich deswegen mit Manien ein wenig aus, aber hier kann ich den Zusammenhang nicht begreifen)? Und in wiefern siehst Du hier ein Machtstreben?

Unsere Erkenntnisfähigkeit ist nun einmal völlig von unserem Hirn abhängig. Auch die Gotteserkenntnis im Rahmen eines positiven Gottesbildes vollzieht sich vollständig im Gehirn. Deshalb „arbeitet“ man dort ja auch noch mit Attributen wie allmächtig und allgütig. Unser Gehirn, unser Verstand
will sich ein Bild machen. Und zu diesem Thema habe ich in meinen vorangegangenen Posts ja auch schon das ein oder andere gesagt: Zum Beispiel Stichwort Alltagsbewusstsein/Ichbewusstsein.

Und auch Zeuges Satz:
Wir können Gott nur dank seiner Selbstoffenbarung erkennen. Und das geht auch nur in unserem Sein, setzt doch vorraus, dass wir unser Sein vermöge des Verstandes definieren. Und was ist denn dann unser Sein? Ich hatte folgende Definition vorgeschlagen:
In unserem Alltagsbewusstsein erleben wir uns als „Ich“. Dieses „Ich“ ist zuvorderst Negation, ein tätiges „Sichheraushalten“.
Ich schaue mich in meinem Zimmer um, nehme die Gegenstände um mich herum wahr, spüre den Druckpunkt meiner Tastatur, höre ihr klacken...
Draußen regnet es, ich vernehme das Säuseln des Windes und höre wie die Regentropfen auf die Erde fallen – und immer weiß ich, das bin nicht ich...
Unser Sein kann doch nur dieses von mir beschriebene Alltags-, oder Ichbewusstsein sein, oder? Ich schrieb weiter über dieses Sein: Das es sich in einem prozesshaften Geschehen aus Werden, Sein, Vergehen, nicht eindeutig festlegen lässt. Es ist im Vollzug und lässt sich, wie gesagt, am besten bestimmen, indem wir sagen, was es nicht ist.

Mit diesen Aussagen über unser Sein bestätige ich doch, dass es sich nicht durch unseren Verstand begreifen/festhalten/bestimmen lässt. Wir müssen es in unserem Leben erleben und es uns von Gott, genau wie Du sagtest Zeuge, offenbaren lassen.

Deshalb schrieb ich ja:

Die negative Theologie Eckharts … bestimmt nicht was Gott ist, sie legt ihm keine Attribute bei. Sie sperrt ihn nicht ein in weltliche Vorstellungen, die häufig doch mehr Wunsch und Sehnsucht sind, als das sie wirklich Gottes Wesen entsprächen. Sie huldigt der absoluten Transzendenz und Heiligkeit Gottes, sie lässt ihn sein, was er sein will und übersteigt auf diese Weise auch das eigene geschaffene Sein, soweit wir es als getrenntes Sein auf dieser Welt erleben.

Noch einmal: Negative Theologie heißt, nicht ich bestimme was Gott ist, Gott bestimmt es. Gott ist es der offenbart! Wo ist also das Problem in meiner Ausführung? Im Grunde bestätigst Du, Zeuge, doch nur nochmal mit Deinen eigenen Worten, was ich zuvor, in meinen Worten, bereits gesagt hatte.

Trotzdem triffst du schroff das Urteil, dass Eckharts Aussage falsch sei, weil sie letztendlich Gott von seiner Schöpfung trenne. Da muss ich Dir jetzt genauso schroff entgegentreten und sagen: Nein, Zeuge, Du liegst falsch.

Meister Eckhart spricht:

Man liest ein Wörtlein von meinem Herrn Sankt Dominicus, und Sankt Paulus schreibt es, und es heisst zu deutsch also: "Sprich es heraus, sprich es hervor, bring es hervor, und gebier das Wort." Es ist eine wunderliche Sache, dass ein Ding ausfliesst und doch innen bleibt. Dass das Wort ausfliesst und doch innen bleibt, das ist gar wunderbar; dass alle Kreaturen ausfliessen und doch innen bleiben, das ist gar wunderbar; dass Gott gegeben hat und dass Gott gelobt hat zu geben, das ist gar wunderbar und ist unbegreiflich und unglaublich. Und das ist recht, und wäre es begreiflich und glaublich, so wäre es nicht recht. Gott ist in allen Dingen. Je mehr er in den Dingen ist, je mehr ist er aus den Dingen; je mehr er innen, je mehr er aussen ist. Ich habe es schon öfters gesagt, dass Gott all diese Welt
jetzt ganz und gar erschafft. Alles was Gott je vor sechstausend Jahren und mehr schuf, als Gott die Welt machte, das schafft Gott jetzt zumal. Gott ist in allen Dingen, aber insofern Gott göttlich ist und insofern Gott vernünftig ist, ist Gott nirgends so eigentlich wie in der Seele, in dem Innersten der Seele und in dem Höchsten der Seele. Wo die Zeit nie hinkam, wo nie ein Bild hineinleuchtete, im Innersten und im Höchsten der Seele erschafft Gott die ganze Welt. Alles was vergangen ist und alles was künftig ist, das schafft Gott im Innersten der Seele.

Im tradierten, positiven Gottesbild des Theismus hat Gott die Welt, ich-weiß-nicht-vor-wie-langer-Zeit, geschaffen. Manche sagen in 6 Tagen, manche sind anderer Ansicht. Aber einig sind sich alle, dass die Welt dann irgendwann geschaffen war und also nicht weiter geschaffen werden musste (am siebten Tag ruhte Gott von aller Arbeit). Solche Menschen bleiben dann in ihrer Raumzeitlichen Erkenntnisstruktur (von der ich nebenbei auch schon mehrmals sprach) hängen und man kann nicht wissen, wie nah oder fern der Schöpfergott denn nun noch ist, nach all den vielen Milliarden Jahren.

Eckhart hingegen sagt, dass Gott all diese Welt jetzt (in einem ewigen Nun) ganz und gar erschafft. Gott kennt keine Zeit, für ihn ist jeder Augenblick der Vergangenheit und jeder Augenblick der Zukunft gleich nah. Und die Welt, so wie wir sie jetzt erleben, ist nur deshalb, weil Gott sie jetzt, in diesem Augenblick erschafft. Noch näher, kann Gott seiner Schöpfung also gar nicht sein! Er hält sie im Sein und würde er auch nur einen winzigst kleinen Augenblick damit aufhören, dann wäre sie nicht mehr. Fishergirl nicht, Zeuge nicht und Provisorium auch nicht.

Ich könnte jetzt noch lange ausführen warum Eckhart das so erlebt, allein
mir fehlt die Zeit. Aber ich denke, dass ich hier nun schon genug Stoff produziert habe, über den es sich nachzudenken lohnt. Und wenn mir die Bermerkung erlaubt sei, vielleicht nicht nur reflexhaft.

LG
Provisorium

PS: Eckhart hat an sich selbst mal folgenden Anspruch formuliert: Er beabsichtigte nach seinen eigenen Worten „die Lehren des heiligen christlichen Glaubens und der Schrift beider Testamente mit Hilfe der natürlichen Gründe der Philosophen auszulegen“.

Das heißt, er hat die Heilige Schrift nach damaligen Stand der Wissenschaft ausgelegt (das war übrigens im Wesentlichen der Neuplatonismus).

Für uns würde das heute z.B. bedeuten, die Bibel mit der Evolutionstheorie, Relativitätstheorie, oder Quantenphysik und Neurobiologie in Einklang zu bringen, eben weil Wahrheit eben Wahrheit sein muss...

Ich erwähne das zum Schluss, weil Eckhart die Bibel allegorisch gelesen und verstanden hat. Das muss man wissen und annehmen, sonst wird man weder Eckhart noch der Bibel gerecht.