Gebet
Gott,
ich weiß nicht
wie ich Dich anreden soll,
noch nicht einmal,
ob Du mich überhaupt hörst.
Zweifel leben in mir,
ob Du da bist,
ob Du für mich da bist.
Aber ich habe gehört von Dir
als Quelle heilender Liebe.
Das hat Körner der Sehnsucht
unter meinen Zweifel gestreut.
Wie jene Frau,
die nach Jesu Gewand fasst
ungewiss, ob es hilft,
nur mit einem Funken Hoffnung,
so will ich mich jetzt,
Gott, nach Deiner heilenden Liebe
ausstrecken.
Ich will vor Dir aussprechen,
was mir so weh getan hat
und noch weh tut.
Ich denke an meine Kindheit zuück,
spüre noch jetzt den Mangel
an bedingungsloser Liebe,
Zuwendung und Anerkennung.
Manches Wort meiner Eltern
sitzt in mir wie ein Stachel.
Ihr Versuch, mich an sie zu binden,
ihre Erwartung, daß ich meine
Aggressionen gegen sie unterdrücke.
Ihr Streit, der mich erschreckte,
ihr Überfordern und Korrigieren,
das ohnmächtige Wut in mir weckte -
all das hat mein Selbstwertgefühl verletzt.
Ich ahne, Gott, wo meine Eltern
durch Vernachlässigung oder
Überbehütung
meine Lebensentwicklung hemmten.
Und vielleicht liegt es an meinem eigenen
Vater,
dass ich zu Dir, Gott,
noch nicht Vater sagen kann.
Ich denke an meine Ehe
oder an mein Alleinsein,
an den Partner, den ich habe,
oder an den, den ich vermisse.
Da ist so viel Verbitterung in mir
über versäumte Möglichkeiten und
unerfüllte Sehnsüchte.
Da ist so viel Enttäuschung
über dumpfes Aneinander-Vorbeileben.
Da sind abgebrochene Träume,
Worte, die verletzen,
Wunden, die nicht heilen wollen.
Ich denke
an meinen beruflichen Werdegang.
Mancher Weg wurde mir verbaut,
manche Chance gestohlen.
Mir hat weh getan,
wenn Konkurrenten mir vorgezogen,
meine Leistungen übergangen,
meine Fähigkeiten unterschätzt wurden.
Mein eintöniger Berufsalltag
hat mich bitter und stumpf werden lassen.
Ich denke auch an Verletzungen
durch Kirche und Christen:
so viele hohle Worte,
so wenig glaubwürdiges Leben.
Ich denke auch an Verletzungen,
die ich mir selber zufügte:
durch ständiges Herumnörgeln an mir,
durch Selbstverneinung und
Selbstüberforderung.
Gott, da ist so viel, was in mir weint.
Manches kann ich noch nicht aussprechen.
Und noch immer weiß ich nicht,
ob du für mich bist.
Aber wenn,
dann bitte ich dich jetzt:
Komm du mit der Kraft
deiner heilenden Liebe in mein Leben.
Zieh Du die Verbitterung und den Groll
aus meinen schmerzhaften Erinnerungen.
Fang an, meine Wunden zu heilen.
Amen
aus dem Begleitheft "Christ werden - Christ bleiben"
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