Das ist eine Möglichkeit der Interpretation (seufz). Wir sind mangels Anwesenheit unseres Lehrmeisters JESUS immer wieder auf Interpretationen angewiesen. Jede Interpretation ist aus einer bestimmten Blickrichtung und auf der jeweiligen Ebene gewiss stets angemessen. So gesehen mag dein Verständnis der Paulusstelle ganz gut und richtig sein.
- Ich habe den Eindruck, dass du mich nicht so verstanden hast, wie ich mich äusserte: Auf dieser Erde in der Sphäre menschlichen Bewusstseins (er-)scheint alles getrennt voneinander, und die Ereignisse und Prozesse entfalten sich vordergründig linear, also nach und nach.
Ich verstehe mich als Menschheit! Auf meinem Standpunkt ist die ganze Schöpfung, der Spiegel meines Selbst, wie es derzeit in meinem Inneren beschaffen ist (auch wenn ich diese Tatsache noch längst nicht vollends begriffen habe, geschweige denn sie meistern könnte). So gesehen ist ein Mensch oder ein Volk "da draussen" (oder auch in der Vergangenheit oder Zukunft) ein Teil meines Bewusstseins. Wenn ich mich selber beobachte, dann stelle ich fest, dass ich - wenn ich gerufen werde - nicht ganzheitlich höre, d.h. der Klang eines Rufes "passiert" zuerst mein Ohr, muss dann mein Gehirn erreichen und dort von einem Teil der Zellen (Volksgruppe ?) eine gewisse Aufmerksamkeit erheischen, dann wird das Vernommene in Bezug gesetzt zu bereits Vertrautem und schliesslich auch in dem Masse begriffen, dass der Ruf mich dazu veranlasst, mich ganzheitlich (also inkl. Körper, der nur unbewusst an den bisherigen Abläufen beteiligt war) in eine Richtung oder auf ein Ziel hin in Tätigkeit (oder in Ruhe) zu (ver-)setzen.
Zu Beginn eines solchen Prozesses wird (aufgrund meiner menschlichen Beschränktheit) nur ein (scheinbar) sehr geringer Teil meines ganzen Seins angesprochen (der von Gott erwählte Teil?). Nach und nach aber, wenn meine Vernunft und mein Bereitschaft eingestimmt ist, richtet sich mein ganzes Sein (auch die Zehe und der Darm etc.) nach dem, was der von aussen an mich ergangene Ruf in mir bewirkt hat.
Ergibt auf diese Art die Erwählung nun Sinn, ohne dass die göttliche Liebe begrenzt wäre auf eine Person oder Gruppenzugehörigkeit? Gott spricht alle (gleichzeitig) an, aber das Bewusstsein der Menschheit ist dazu (noch) nicht genügend ausgereift (oder gesammelt und vereint). Darum ergeht zuerst eine Berufung an die Zerstreuten (die zerstreute Menschheit) und es folgt die Erwählung (jener wenigen Zellen, die zur Aufnahme der Botschaft tauglich sind, weil sie sich "angesprochen" fühlen und ihre Aufmerksamkeit auf den vernommenen Ruf richten. Die Zerstreuten (die zerstreute Menschheit) liess sich alsonach zumindest auf einem Punkte (damals die Volksgruppe Israel, später die Muslime, früher die östlichen Völkergruppen) ansprechen. Von Gott aus bestand somit eine Aussicht, von den Menschen / der Menschheit verstanden zu werden.
Aber haben wir auch wirklich etwas weniges von dem verstanden und begriffen, was uns Gott nach und nach (immer wieder) zuruft? Hat Gott einen Teil von Sich aus erwählt, dann hat Er gewiss jenen Teil der Menschheit erwählt, bei dem am ehesten Aussicht bestand, dass er gehört würde. Mir scheint, Er wurde zwar gehört, aber wurde Er auch verstanden? Oder drang Sein Ruf nur wie ein Funke ins Bewusstsein der Menschen, und dieser Funke erlosch alsbald wieder und zurück blieb eine sich darüber streitende Menschheit, was da kurz aufgeflammt war in ihrem Bewusstsein? - War nicht jeder Prophet erneut ein Ruf Gottes an die Menschheit? - Und wissen wir überhaupt von allen, die Seinen Ruf an uns ergehen liessen? Haben wir sie erkannt - oder nicht beachtet? - Später kam Er Selbst in Jesus! In wiefern haben wir Ihn gehört und verstanden? Wie eh und je sind wir zerstritten und verwirrt. Begriffen haben wir nur sehr wenig.
Wozu ist die Menschheit bestimmt? Was möchte Gott uns sagen, wenn wir fähig wären zu hören? Wozu würde er uns alle erwählen? Möchte Er mitten unter uns sein, damit wir Ihn besser verstehen könnten?
Ich habe Paulus "Leib Christi" auf die ganze Menschheit bezogen und auf diese Weise verstanden und interpretiert. Und mir dient diese Interpretation ganz wunderbar, wenn ich die Feindesliebe umsetzen will, denn da gibt es kein entrinnen aus der Einheit und kein Abgrenzen gegen die Abgründe der Menschlichkeit: das hiesse, die Einheit verleugnen und die Schuld zurückschieben auf etwas oder jemanden anderen (letztlich auf Gott, denn in der Einheit gibt es nur mich als Schöpfung mit dem erwachenden Bewusstsein, wie es sich mir in der Menschheit spiegelt, und Gott). Wir aber sollen laut Jesus uns selber verleugnen und nicht die Einheit, was ich dahingehend interpretiere, dass ich mich nicht nur mit den Gefälligen und "Guten" Aspekten der Menschheit eins fühle, sondern mein (vermeintliches) Gutsein und Richtigsein verleugne und mich auch zu den Hässlichkeiten und Schuld- und Schandflecken der Menschheit vor Gott bekenne.
So gibt es keinen Platz für Trennung in dem Sinne, dass etwas nicht zu mir gehört. Wenn also nach dieser "Ordnung" der Ruf Gottes an mich ergeht - auch wenn zu Beginn vom Klang nur mein Gehörgang und ein paar Gehirnzellen vom Klang berührt werden - dann sind dennoch auch meine Nägel und meine Haare mitangesprochen, auch wenn sie (getrennt betrachtet) nicht dazu eingerichtet sind den Ruf Gottes zu vernehmen. Auch sind meine Nägel und meine Haare deswegen nicht weniger geschätzt oder gar des Abschneidens und Ausreissens wert, denn sonst würde ich auch den Schmerz und die Beeinträchtigung(en), die mir daraus erwachsen, zumindest für eine gewisse Zeit zu (er)tragen haben.
Ich hoffe, ich konnte präzisieren, aus welcher Haltung heraus ich die Berufung und Erwählung betrachte, und meine anfänglichen Fragen dazu stehen immer noch im Raum, auch wenn ich sie nun zu einem Teil selber beantwortet habe.
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