Der himmlische Befehl lautete: „Der Heilige Tempel wird zerstört, und die Juden werden aus ihrem Land vertrieben!“ Dann sagte G-tt: „Aber die westliche Mauer soll nicht zerstört werden, damit sie immer daran erinnert, dass G-ttes Herrlichkeit dort wohnt!“
Die Juden konnten und wollten ihren Tempel nicht vergessen. Jedes Jahr am neunten Aw versammelten sie sich an der Westmauer, beklagten die Zerstörung und flehten G-tt an, den Heiligen Tempel wieder aufzubauen. Die Römer konnten es nicht ertragen, dass die Juden an ihrer Religion festhielten und die westliche Mauer als heilig betrachteten. Also schmiedeten sie einen Plan. Sie ordneten an, dass alle Heiden, die in Jerusalem lebten, ihren Müll jeden Tag vor der Mauer abladen mussten. Tagaus, tagein, wuchs der Müllberg, und die ganze Mauer wurde allmählich zugedeckt. Wieder klagten die Juden.
Viele Jahre vergingen. Ein sehr frommer Jude, der nicht in Israel lebte, reiste nach Jerusalem, um G-tt sein Herz auszuschütten. Er ging durch die Straßen und suchte die Mauer, fand sie aber nicht. Alle, die er fragte, zuckten mit den Schultern – sie hatten die Mauer noch nie gesehen. Aber der Mann gab die Hoffnung nicht auf. Tag und Nacht suchte er weiter. Einmal stieg er auf einen riesigen Müllberg und wunderte sich darüber, dass sich dort so viel Abfall angesammelt hatte. Dann sah er eine sehr alte Frau, die einen schweren Sack auf dem Rücken trug. „Was trägst du da?“, fragte er. „Einen Sack voller Müll. Ich werfe ihn auf die Halde.“ Der Mann wunderte sich. „Warum bringst du den Müll hierher? Gibt es keinen Müllplatz in deiner Nähe?“ „Es ist ein alter Brauch, den Müll hier abzuladen. Hier stand früher eine riesige steinerne Mauer, die den Juden heilig war. Darum befahlen die Römer ihnen, die Mauer zuzuschütten.“ Die alte Frau leerte ihren Sack und ging.
Tränen flossen aus den Augen des Juden. „Ich werde so lange hier bleiben, bis ich einen Weg finde, den Müll wegzuschaffen und die westliche Mauer freizulegen!“ Plötzlich kam ihm eine Idee. Er ging zurück in die Stadt und flüsterte allen Leuten, die er traf, ins Ohr: „Hast du gehört, dass ein großer Schatz dort unter der Müllhalde liegen soll?“ Dann nahm er eine Schaufel und einen Eimer und begann zu graben. Bald schlossen sich ihm viele andere an. Die ganze Stadt war aufgeregt, als die Nachricht von einem riesigen Schatz sich verbreitete. Die Leute gruben den ganzen Tag, bis die oberen Steine der Mauer zu sehen waren. Die Sonne ging unter, und die Leute gingen nach Hause, um sich auszuruhen. Jetzt versteckte der Mann ein paar Goldmünzen im Schmutz und ging ebenfalls weg.
Am nächsten Morgen, kurz nach Einbruch der Dämmerung, gab es einen Aufruhr am Hügel. Jemand hatte eine Goldmünze gefunden, dann zwei, dann drei! Die Leute arbeiteten noch eifriger. Jeden Tag gruben sie tiefer, und jeden Tag wurden ein paar goldene Münzen entdeckt. Aber sie waren sicher, dass der wahre Schatz ganz unten lag. Der Jude gab sein ganzes Vermögen aus, um die westliche Mauer freizulegen. Vierzig Tage lang gruben die Leute nach dem Schatz. Dann war die ganze Mauer vom Müll befreit. Den Schatz fanden sie nicht; aber vor ihren Augen erhob sich eine große Steinmauer.
Plötzlich erhob sich ein starker Sturm, und ein Wolkenbruch setzte ein. Drei Tage lang fiel der Regen und wusch die Mauer sauber. Als die Menschen hinausgingen um nachzusehen, was sie ausgegraben hatten, sahen sie eine stattliche Mauer aus gewaltigen Steinen, von denen einige über drei Meter hoch waren. An dem Platz, wo Awraham seinen Sohn Jizchak opfern wollte, wo der erste Heilige Tempel stand, den König Schlomo gebaut hatte, und wo Esra und Nehemia den zweiten Heiligen Tempel errichtet hatten ¬ genau dort wird der Moschiach den dritten und letzten Tempel bauen, wenn er kommt.

Verfasser: Pinchas