Rabbinische Gleichnisse:
Israel der Weizen, die Welt das Stroh
Ein rabbinisches Gleichnis aus der Zeit um 260 n.Chr., das in mehreren Varianten erhalten ist, will das Heil Israels und die Verwerfung der Völker bildhaft darstellen. Zuerst die sekundäre Variante, die im Namen des Rabbi Levi überliefert ist:
„... Die Völker gleichen den Stoppeln (vgl. Ex 15,7; Ob 18), die man ins Wasser streut (vgl. Ps 136,15), den Dornen, die man ins Feuer wirft (vgl. Jes 33,12), dem Stroh und der Spreu, die man vom Winde forttragen lässt (vgl. Hi 21,18). Israel aber gleicht dem Weizen (vgl. Cant 7,3), es ist das Getreidekorn der Welt.“
In einer ursprünglicheren Form ist das Gleichnis im Namen des Rabbi Abun überliefert:
„Das Stroh, die Spreu und die Stoppeln stritten miteinander und jedes von ihnen sagte: um meinetwillen ist das Feld besät worden.
Da sagte ihnen das Weizenkorn: Wartet, bis die Zeit der Tenne da ist; dann werden wir wissen, um wessentwillen das Feld besät worden ist.
Als sie auf die Tenne kamen, kam der Eigentümer heraus um das Getreide zu worfeln. Die Spreu ging in den Wind, das Stroh wurde zur Erde geworfen, die Stoppeln verbrannt. Das Korn aber nahm der Besitzer und machte einen Getreidehaufen. So streiten auch die Völker der Welt. Die einen sagen (besonders das Christentum durch Paulus): Wir sind Israel und um unsertwillen ist die Welt erschaffen worden.“
Auch die anderen beanspruchen in dieser Gleichnisvariante, das wahre Israel zu sein. «Israel aber spricht: Wartet, bis Gottes Tag kommt, der die Frevler wie Stoppeln in Brand setzt, und der Wind trägt sie davon (vgl. Mal 3,19). Von Israel aber ist gesagt: 'Du wirst jubeln im Ewigen und mit den Heiligen Israels dich rühmen' (Jes 41,16).“
Diese Handlung erinnert an die bekannte äsopsche Fabel von der Eiche und dem Schilfrohr:
„Die Eiche und das Schilfrohr stritten miteinander, wer von ihnen der Stärkere sei. Da kam plötzlich ein Sturm. Das Rohr bückte sich entsprechend der Windrichtung. Die Eiche aber leistete Widerstand und wurde entwurzelt.“
Im Gegensatz zu dieser Fabel des Aesop gibt es im Gleichnis des Rabbi Abun mehr als zwei Antagonisten, und der Sieger erscheint erst am Schluss der Handlung. Eine rabbinische Version steht allerdings in diesem Punkte dem äsopschen Grundschema näher:
„... Es sagten die Lolche zum Weizen: Wir sind besser als ihr, und sowohl auf euch als auch auf uns fällt der Regen und scheint die Sonne. Da sagte ihnen der Weizen: Nicht was ihr sagt, ist richtig, sondern was wir sagen; denn der Worfler kommt und sammelt uns in die Scheune ein, ihr aber werdet den Vögeln zum Frass. So sind die Weltvölker und Israel zusammen in der Welt vermischt, wie geschrieben steht: 'Sie vermischten sich mit den Völkern und lernten ihre Werke' (Ps 106,35).
Die Weltvölker sagen zu Israel: Wir sind besser als ihr, und auf uns und auf euch fällt der Regen und scheint die Sonne. Dann spricht zu ihnen Israel: Nicht was ihr sagt, ist richtig, sondern was wir sagen. Es wird nämlich der Tag kommen, an dem die Gerechten ins Paradies und die Frevler in die Hölle kommen werden (vgl. Dan 12,2).“
Zusammengefasst aus: „Die rabbinischen Gleichnisse und der Gleichniserzähler Jesu“von David Flusser
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