Er wollte jedenfalls keine neue Religion gründen. Passiert ist es natürlich trotzdem.
Nun, man kann Jesus ja nicht für das Handeln anderer verantwortlich machen. Es passiert, was passieren muß.

Ob er ein Reformer war, ist Ansichtssache. Die jüdisch gesinnten Nutzer hier meinen, er sei ein braver Jude gewesen, der sich streng innerhalb des gültigen jüdischen Meinungsspektrums hielt und in nichts davon abwich, ein ganz normaler Prediger halt. Alles, was in den Evangelien dagegen spricht, sei christliche Verfälschung oder Fehlinterpretation.
Doch wenn man die Evangelien ernst nimmt und nicht verkrampft mit dem AT zu harmonisieren versucht, kommt man zu einem anderen Schluss. Aber darüber wurde in den vergangenen Tagen schon in anderen Threads ausgiebig diskutiert.
Ganz so einfach ist es eben nicht. Natürlich war Jesus in gewisser Weise ein „Sonderling“, der sich aber sehr wohl innerhalb des Judentums bewegte. Christliche Redaktionsarbeit an den Evangelien hin oder her, wenn man das Breitenspektrum des damaligen Judentums kennt, dann kann man zu keinem anderen Rückschluss kommen. Und ohne Zweifel kann man sagen, dieser Rabbi scheute offensichtlich keines Wegs die innerjüdischen Auseinandersetzungen – insbesondere mit den Essenern und Sadduzäern. Das lässt sich sehr deutlich aus den Synoptikern erkennen. Was man jedoch auch erkennen kann ist, dass z.B. Pharisäern Lehrmeinungen unterstellt werden, die sie nie vertraten, wohl aber andere Gruppen innerhalb des Judentums, das ist nun einmal ein belegbarer Fakt und damit wird die Glaubhaftigkeit dieses Schriftgutes äußerst fragwürdig. Aber man kann natürlich den christlichen Autoren zugestehen, dass diese die innerjüdischen Parteiungen nicht gut genug kannten und dadurch so manches durcheinander geraten ist. Irren ist bekanntlich eine menschliche Eigenschaft und die Autoren und Redakteure waren bekanntlich Menschen.
Was Jesus mit einem Reformer gemein haben soll weiß ich allerdings nicht. Ein Reformator tritt – nach meinem geschichtlichen Verständnis – dann doch anders auf. Das Jesus allerdings sich oftmals einem sehr grenzwertigem Lehrverständnis zuwandte ist – nach meinem Verständnis – unübersehbar. Und doch hat er das damalige Judentum auch in diesen Punkten nicht verlassen, auch wenn er in Grenzbereichen kursierte. Doch beispielhaft habe ich ähnliche Zeitgenossen - anderen Ortes schon angeführt, die in ganz ähnlicher Weise glaubten und handelten und sogar dafür starben und doch ihren festen Platz in der jüdischen Religionsgeschichte haben. Joseph Klausner sagte einmal sehr treffend: „Wir haben kein Problem mit den Lehren und Wirken des Rabbi Jesus, wir haben ein Problem mit dem was man aus Jesus im 4. Jahrhundert gemacht hat – einen Gott.“ Und Martin Buber zeigt in einem seiner Werke eine weitere Paradoxie auf: „Ausgerechnet der Mann, der zeitlebens seinem Volk treu verbunden war, sich nur zu ihnen gesandt fühlte und der ein Verfechter jüdischen Lehrgutes war, soll eine neue Religion gegründet haben, die sich ganz extrem dem jüdischen Glaubensverständnis entgegen stellt und mehr noch zum „Fluch“ für sein Volk wurde?“

Das Selbstverständnis Jesu ist bis heute ein schwierig zu deutendes Feld. Doch spätestens seit den Funden von Qumran muß man sagen, auch das ist in den Kategorien jüdischen Glaubens beheimatet, denn universelle Menschensöhne gab es auch vor Jesus schon im Judentum und mehr noch ganz spezielle Söhne Gottes mit messianischen Allüren. Die Halbgötter in weiß (Essener – sie trugen weiße Kleider) übertrafen in vielen Selbstansprüchen diesen Jesusanspruch sogar. Doch offensichtlich bot die Person Jesus genug Interpretationsspielraum, so dass man aus diesem Juden einen Gott machen konnte. Die Vorlagen dazu lieferten zum einen Teile das Judentum selbst und zum anderen der Hellenismus. Das ist das religionshistorische Ergebnis, wenn man sich die ersten 400 Jahre des Werdens des „Religionsmythos Jesus“ stellt.

Und wer weiß, eventuell ist all das ganz gewollt von Gott für all die Menschen, die solche Gottessöhne brauchen und bedürfen. Offensichtlich bedürfen Teile der Menschheit auch eines Mohamed, eines Buddha, eines Krishna und anderer göttlicher Helden. All diese Helden und noch viele mehr sind offensichtlich notwendig, um einer „gottverlassenen“ Menschheit Gottesnähe einzureden. Eventuell ist es auch so, dass die Menschheit solche Leithelden braucht, ums sich ihrer Mündigkeit, Selbstverantwortung und Suche nach Gott nicht stellen zu müssen. In dieser Erkenntnis sagte einst Dietrich Bonhoefer: „Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott lässt sich aus der Welt hinausdrängen. Unsere Welt ist Gottlos und Gottlos sind unsere Taten und all das im guten Glauben wir dienen damit Gott.“

Der Wettkampf der Religionen um den wahren und echten Gott ist bis heute nicht abgeschlossen. Dieses Kernfaktum unserer Geschichte zeigt deutlich, dass noch immer keine allgemeinverbindliche Antwort auf die Stellung Gottes in unserem Dasein gefunden werden konnte. Daran können auch all die vermeintlichen Gottessöhne, Halbgötter, Gottgleichen, Helden und Religionsstifter mit all ihren Lehren, Taten und Opferungen nichts ändern. Ein Trost, so will ich meinen und sage Gott/In sei Dank!

Absalom