„Er war verloren und ist gefunden worden“

Die Gleichnisse vom verlorenen Schaf, vom verlorenen Groschen
und vom verlorenen Sohn machen deutlich, mit welch erbarmender
Liebe Gott den Menschen begegnet, die sich fern von ihm verirrt
haben. Er überlässt sie nicht ihrem Elend, obwohl sie sich
von ihm abgewandt haben. Es tut ihm herzlich leid um alle, die
den teuflischen Verlockungen und Versuchungen ausgesetzt sind.
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn vermittelt uns eine Vorstellung
davon, wie Gott sich Menschen gegenüber verhält, die
früher einmal die Liebe des Vaters kannten, sich dann aber vom
Versucher auf Abwege bringen ließen.
„Ein Mensch hatte zwei Söhne. Und der jüngere von ihnen
sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht.
Und er teilte Hab und Gut unter sie. Und nicht lange danach
sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein
fernes Land.“
(Lukas 15,11-13)

Dieser jüngere Sohn hat die strengen Sitten zu Hause satt. Er
fühlt sich in seiner Freiheit eingeschränkt und fasst die liebevolle
Fürsorge seines Vaters völlig falsch auf. In Zukunft will er nur
noch das tun, wozu er gerade Lust hat.
Der junge Mann fühlt sich seinem Vater gegenüber in keiner
Weise verpflichtet und kennt auch keine Dankbarkeit; dennoch
pocht er auf sein Recht, einen angemessenen Teil des väterlichen
Erbes zu erhalten. Er verlangt schon jetzt, was ihm eigentlich
erst nach dem Tod des Vaters zusteht, wobei er keinen Gedanken
an die Zukunft verschwendet, sondern nur daran denkt, wie er
die Gegenwart genießen kann.

Als er sein Erbe erhalten hat, zieht er „in ein fernes Land“,
fort von seinem Elternhaus. Jetzt, da er Geld im Überfluss hat
und tun und lassen kann, was er will, bildet er sich doch wirklich
ein, dass damit sein größter Wunsch in Erfüllung gegangen ist.
Niemand kann ihm mehr vorschreiben: Lass dies, sonst schadest
du dir selbst! oder: Tu das, weil es so richtig ist! Falsche Freunde
helfen ihm, sich immer tiefer in Sünde zu verstricken, und so
bringt er „sein Erbteil durch mit Prassen“
(Lukas 15,13).

Über manche Menschen urteilt die Bibel: „Da sie sich für Weise
hielten, sind sie zu Narren geworden.“
(Römer 1,22)

Genau das trifft auf den jungen Mann zu:
Das Vermögen, das er so egoistisch
von seinem Vater forderte, verschleudert er an Huren. Die besten
Jahre seines jungen Lebens vergeudet er sinnlos, opfert sie wie
auch seine Geisteskräfte, seine hohen Ideale, seine geistlichen
Ziele der Genusssucht.
Da bricht eine große Hungersnot aus, und als auch er nichts
mehr zu essen hat, lässt er sich von einem Bürger des Landes als
Schweinehirte anstellen
(Lukas 15,14.15).

Das war für einen Juden die erniedrigendste Arbeit überhaupt.
Der junge Mann, der auf seine Freiheit so stolz gewesen war,
ist zum Sklaven geworden,
ist in die denkbar schlimmste Knechtschaft geraten, „mit
den Stricken seiner Sünde gebunden“
(Sprüche 5,22).

Vorbei sind Glanz und Vergnügen, die für ihn einmal so verlockend waren;
jetzt spürt er nur noch die Last seiner Sünde. Er sitzt auf dem
kahlen Boden in dem öden, vom Hunger geplagten Land, und
seine einzige Gesellschaft sind die Schweine. Was würde er nicht
darum geben, wenn er sich an ihrem Trog endlich wieder einmal
satt essen könnte! Von den lebenslustigen „Freunden“, die sich in
seiner Glanzzeit an ihn hielten und auf seine Kosten aßen und
tranken, ist keiner bei ihm geblieben. Was ist von seiner früheren
Ausgelassenheit noch übrig? Damals, als er sein Gewissen und
seine bessere Einsicht betäubte, hielt er sich für glücklich; aber
jetzt – ohne Geld, mit leerem Magen, tief gedemütigt, moralisch
heruntergekommen, willensschwach und anscheinend schon
recht abgestumpft – ist er der bedauernswerteste aller Menschen.

Was für ein treffendes Bild vom Zustand des Sünders! Obwohl
Gott ihn mit den Segnungen seiner Liebe umgibt, hat der sündige
Mensch vor lauter Egoismus und Vergnügungssucht keinen größeren
Wunsch, als sich von seinem himmlischen Vater loszusagen.
Er verlangt – wie der verlorene Sohn – Gottes gute Gaben
als sein Eigentum und nimmt sie mit einer Selbstverständlichkeit
hin, die Dank oder Gegenleistung aus Liebe ausschließt. Wie
Kain „hinweg von dem Angesicht des Herrn“ ging, um sich einen
Wohnplatz zu suchen
(1. Mose 4,16),

und wie der verlorene Sohn
„in ein fernes Land“ zog, so suchen auch die anderen Sünder ihr
Glück darin, Gott zu vergessen: Ihnen liegt „nichts daran … die
Erkenntnis Gottes festzuhalten“
(Römer 1,28 Albrecht).

Doch so sehr auch der äußere Schein trügen mag, ein Leben,
das nur um das eigene Ich kreist, ist letztlich weggeworfen. Wer
ohne Gott leben will, vergeudet das, was ihm anvertraut worden
ist: seine besten Jahre, seine intellektuellen Fähigkeiten und seine
Seelenkraft. Mit Riesenschritten läuft er ins ewige Verderben.
Der Gottlose, der eigentlich sein eigener Herr sein wollte, wird
zum Sklaven des Reichtums. Das vernunftbegabte Wesen, das
Gott einmal erschuf, damit es Umgang mit den Engeln haben
sollte, stellt sich freiwillig auf die Stufe des bloß Materiellanimalischen,
um ihm zu dienen. So geht es jedem, der nur seinen
eigenen Bedürfnissen leben will.

Wer sich für ein solches Leben entschieden hat, ist sich im
Grunde klar darüber, dass er sein Geld für Dinge ausgibt, die ihn
nicht glücklich machen, und dass er sich abmüht, ohne mit dem
Ergebnis zufrieden zu sein. Es gibt Stunden, in denen er seine
verzweifelte Situation erkennt und im „fernen Land“ einsieht, wie
tief er gesunken ist.
Dann ruft er vielleicht auch aus:
„Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?“
(Römer 7,24)

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http://www.haroldgraf.blog.de/2010/0...n-teil-8571891