Teil 2.
Unter dem zunehmenden Verlust des Einflusses der Reste der einstigen israelitischen Urgemeinde, entwickelte sich auch das heutige neutestamentliche Schriftgut. Wir wissen aus der Überlieferung der Kirchenväter, dass auch die israelitische Urgemeinde neben dem Tanach eine eigene Schriftliteratur bildete, die eine Logienquelle der Worte Jesu (Urevangelium), kleinere Erzählschriften der Apostel und anderer Lehrer umfasste. Dieses Schriftgut hat allerdings die Zensur der Kirche nicht überstanden. Sehr aufschlussreich ist hier eine Aussage von Hieronymus, die uns die Brisanz dieses Schriftgutes vor Augen hält: 1. "Ein schwieriges Werk ist mir auferlegt, nachdem diese (Übersetzung) mir von Euer Hochwürden anbefohlen wurde, wovon St. Matthäus selbst, der Apostel und Evangelist, nicht wünschte, dass es offen geschrieben werde. Denn wenn das nicht geheim gewesen wäre, würde er (Matthäus) dem Evangelium hinzugefügt haben, dass das, was er herausgab, von ihm war; aber er stellte dieses Buch mit hebräischen Lettern versiegelt her und gab es noch dann auf solche Art heraus, dass das Buch, in hebräischen Buchstaben und von seiner Hand geschrieben, im Besitze der religiösesten Menschen sein sollte; die es auch im Verlaufe der Zeit von denen erhielten, die ihnen vorangingen. Aber dieses Buch selbst gaben sie niemals irgend jemandem zum Abschreiben, und seinen Text erzählten die einen auf die eine Art und die ändern auf eine andere. (Brief an die Bischöfe Chromatis und Heliodorus + de Viris Illustr., III.)
2. Es fand sich das echte und ursprüngliche Evangelium, hebräisch geschrieben von Matthäus, dem Zöllner, in der zu Caesarea von dem Märtyrer Pamphilius gesammelten Bibliothek, "ich erhielt Erlaubnis von den Nasaräern, die zu Beroea zu Syrien dieses benützten, es zu übersetzen", de Viris Illustr., III.
3. "In dem Evangelium, das die Nasarener und Ebioniten benützen", das ich neulich aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzte und das von den meisten Leuten (alten Kirchenvätern) das echt Evangelium des Matthäus genannt wird und in chaldäischer Sprache, aber mit hebräischen Lettern geschrieben war. (Komment. Zu Matthäus XII. 13)
4. „Und es traf zu, dass dieses Buch … Stoff nicht zur Erbauung, sondern zur Zerstörung darbot (für die Kirche) und dass dieses (Buch) auf einer Synode approbiert wurde, worauf zu hören die Ohren der Kirche sich schicklich weigerten.“ (Aversus Haer. I. 26) Die Ursache dafür war : Das die Judenchristen, alle übrigen apostolischen Schriften verwarfen und nur dieses Evangelium benutzten (Adv. Haer; I. 26); und die sie glaubten, wie Epiphanius erklärt: „Ebenso wie die Nazarener halten sie fest daran, dass Jesus nur ein Mensch war, vom Samen eines Menschen".
5. Hieronymus bemerkt weiter, das dieses Hebräerevangelium „häufig benutzt“ hat der Origenes, der es Evangelium der 12 Apostel nannte, worin er bestärkt wurde in seinem Glauben an die Vorexistenz der Seele. (Diese Lehre wurde von der Kirche als „jüdische Lehre“ zur Häresie erklärt) (de Viris Illustr, Adv. Haer.)
6. Doch auch andere alte Kirchenväter kannten dieses Evangelium, angefangen von Papias, bis hin zu Julius Afrikanus und Eusebius, welche alle diese Schrift als das einzig echte Evangelium bezeichneten.
Die heutige Textforschung weiß, dass immer wieder dieses „seltsame Schriftstück“ in apostolischer Zeit aufgetaucht ist und etliche Kirchenfürsten es nicht lesen konnten, da es in fremder Sprache (hebräisch) geschrieben war und von daher kaum Interesse fand. Fakt ist auch, die Kirche verwarf dieses Evangelium auf Grund seines jüdischen Inhaltes und der Darstellung des Juden Jesus als natürlicher Menschen und auf Grund der zu jüdisch anmutenden Lehren und stufte es letztlich als gefährlich ein. Fakt ist auch, dass die jüdischen Nachfolger der Urgemeinde dieses allein benutzten und es auch in Synagogen verbreitet war. Soweit kann die Textforschung heute, auf Grund der Zeugnisse der Kirchenväter, den Sachverhalt recherchieren. Die Frage die sich stellt und die einst schon der renommierte kath. Theologe Prof. Alfons Deißler stellte ist, wieso konnte eine Schrift, die von der Mehrheit der großen Kirchenväter als einzig echte und verlässliche Schrift eines Augenzeugen über die Person Jesu und die Lehren Jesu von der Kirche als gefährlich und zu jüdisch eingestuft werden? Was erregte die Angst der frühen Kirche, dass es zu einer regelrechten Jagd nach diesem Schriftgut kam und in Folge dessen zu einer gänzlichen Vernichtung diese Schriftgutes, ja sogar in Folge dessen diese Glaubensgemeinschaften verfolgt und vernichtet wurden?
Mit dem entstehen des Schriftgutes im 1. und 2. Jahrhundert ist auch die intensive Auseinandersetzung um die Person Jesus ausgebrochen. Nach seiner Entjudaisierung folgte nun die Verwandlung Jesu zu einem griechisch sprechenden und denkenden Gottessohn, der seine erste literarische Vollendung im Johannesevangelium erreicht. Hier spricht Jesus in ganz klar hellenistisch belegbaren Aussagen, sein Wortschatz ist neuplatonisch, philonisch und stoisch, seine Begriffswelt ist philosophisch – philonisch bis neuplatonisch und sein Erscheinen ist antiken Gottessöhnen sehr ähnlich. Ein Meisterwerk hellenistischer Juden und philosophisch geschulter Heidenchristen, wie Sprachwissenschaftler den Verfassern dieses Evangeliums bezeugen.
Ein weiterer Wesenzug des gesamten neutestamentlichen Schriftgutes ist, dass es ausschließlich alle Vergleichsstellen zum alten Testament aus der Septuaginta bezieht und auch damit theologisch eine neue Christologie begründet, die mit der hebräischen Version des Tanach nie möglich wäre. Angefangen von der Jungfrau bis hin zum Einritt Jesu in Jerusalem auf zwei Eseln bis hin zu „biblischen“ Zitaten, die angeblich Jesus gesagt haben soll, die allesamt so nicht im hebräischen Tanach stehen, jedoch teilweise in der griechischen Septuaginta, zeigt sich die Bandbreite der theologischen Umdeutungen und Umgestaltungen der Person Jesu auf die Bedürfnisse einer hellenistischen Welt, die es für den neuen Glauben zu gewinnen galt.
Schon um 200 bemerkte Tertullian die zunehmenden Ähnlichkeiten Jesu mit hellenistischen Gottessöhnen und hier insbesondere mit dem Mithraskult. Sein logischer Schluss daraus zeigt jedoch deutlich das Selbstverständnis des frühen Christentums. So argumentiert Tertullian, dass der Teufel selbst Jesus nachäfft in Form ähnlicher Kulte. Das allerdings der Mithraskult schon um 600 v. u. Z. gut bezeugt ist, verschweigt er tunlichst. Gleiches trifft auch auf andere Kulte zu, wie ich schon aufgezeigt habe.
Noch deutlicher wird das gesagte an den theologischen Diskussionen der ersten 3. Jahrhunderte, die davon geprägt sind, das Christentum zur Weltreligion um zu gestalten und damit auch die Person Jesus. Der Wichtigste Faktor ist hier die „Vergottung“ Jesu. Dies geschah schon im entstehen der N.Tlichen Literatur und wurde noch wesentlicher in den folgenden Jahrhunderten betrieben.
Unmöglich kann ich hier die gesamte Entwicklungsgeschichte aufzeigen, jedoch an markanten Beispielen großer Frühchristlicher Theologen anführen: Einer von diesen war Origens, ein alexandrinischer Christ, den sogar Prophyrios (größter Gegner des Frühchristentums) schätzte. Origenes der als einer der größten Redaktoren der neutestamentlichen Schriften hervortrat, war zugleich auch einer der Wegbereiter für ein neues, nach hellenistischen Kulten geprägtes, klar strukturiertes Christentum. Sein hellenistisch geprägtes Bibelverständnis ist bis heute gängige Praxis aller Christen. Gleich wohl er von der späteren Kirche verbannt wurde und ebenso ein Teil seiner Lehren, wurde doch sein Theologieprinzip zur gängigen Praxis christlicher Exegese. Seine neuplatonische Christologie wurde zum Grundbaustein der Lehre der Kirche, die durch seinen christlichen Gegenspieler Tertullian noch seine lateinischen Einflüsse erhielt. In engster Anlehnung an Ammonios Sakkes, der auf dem Timaos Platons fußte, lehrte Origens als Erster eine Dreigliederung Gottes und zugleich der drei göttlichen Teilganzen zueinander als Homoousios (von gleicher Substanz), Logos aus Logos. Das war zur damaligen Zeit so revolutionär für das Christentum, dass Origenes gerade zu mörderische und kriegerische Aktivitäten unter den Befürwortern und Gegner innerhalb des Christentums auslöste. Die Synthese war damit vollzogen. Origenes schafft es sogar durch seine einzigartigen und nie wieder erreichten Auslegungsmethoden, alle großen Philosophen in den Dienst des Christentums zu stellen (z.B. Platon, Aristoteles, etc.), indem er alle christlichen Sätze mit denen der Philosophen in Einklang und Übereinstimmung bringt. Endgültig und ohne Umkehr war das Christentum in der hellenistischen Welt angekommen, ja geisteswissenschaftlich verankert.
Auch wenn Tertullian gegen diesen Neuplatonismus des Christentums ankämpfte = Zitat: „Jeder unserer Handwerker hat Gott gefunden, den Platon nicht gefunden hat. Was haben ein Philosoph und ein Christ, der Schüler Griechenlands und der des Himmels, der Verfälscher der Wahrheit und ihr Erneuerer, ein Dieb und der Wächter der Wahrheit gemeinsam? Mit Christentum haben sie nichts zu tun, wohl aber mit Ohrenkitzel, Torheit, Dämonentum, und nähern sie sich einmal der Wahrheit, sei es Zufall oder Diebstahl“. (Tert.apol. 24,38,42,46; praesc. haer. 7,14; Tert.apol. 19; anima 1f.;spect.17,29; etc); und lieber dem römisch Prinzip folgte, setzte er ebenso auf eine hellenistische Karte, die Stoa. Die Nachfolger Tertullians - insbesondere Cyprian (von ihm stammt das Nazischlagwort: Der Teufel ist des Juden Vater.), haben Tertullians Thesen überarbeitet und für eine kirchliche Einheitsgemeinde zurecht geformt. Er war der Erste, der von einer Trinitas Gottes sprach und damit den römischen Staatskult dem eine Trinitas vorstand dem Christentum anglich. Lactantius, ein hausgemachter Stoiker der insbesondere in all seinen Ausführungen stark an Cicero anlehnt, gibt der Kirche endgültig den römischen Einschlag vor.
Bezeichnend ist für diese Zeit, dass man gar keinen Hel daraus machte, wörtliche Zitate der hellenistischen Philosophen zu benutzen, taten dies ja die Autoren der Johannesschriften und ein Paulus gar selbst auch. Die Rechtfertigungslehre belegt zugleich, dass man die Philosophie als göttliches Hilfsmittel verstand, und zwar überall dort, wo sie sich in das christliche Lehrgebäude einfügen lässt (Origenes). Hier wird sich, von der Kirche, auf die apostolische Tradition berufen, auf Johannes und Paulus, wie schon ausgeführt.
Deutlich wird das gesagte z.B. an Bischof Iustinus (um 165) der sich selbst als Philosoph verstand, ganz offen einen Philosophenmantel und den damals üblichen Philosophenbart trug und ganz massiv die hellenistische Philosophie dem Christentum einverleibte und erklärte, dass das Christentum der Höhepunkt der der Philosophie sei. Sein Popularplatonismus mit kräftigem philonischen - stoischem Einschlag, womit er sich selbst als apologetischer Traditionsnachfolger des Apostel Paulus legitimierte, offenbart die Entwicklung des Frühchristentums gerade zu exemplarisch. Ganz deutlich spricht dafür seine Lehre vom logos spermatikos (der befruchtende Logos) welcher von den alten Propheten schon immer verkündigt worden sei, aber durch die Dämonen verdunkelt worden sei, aber durch die Philosophie offenbar geworden sei. Er ist der Logos Christus, das Mensch geworden Wort, die reine himmlische Lehre. Hier zeigt sich nicht nur deutlich das sophistische Lehrgut, das gerade zu Wortwörtlich übernommen wurde, sondern es beinhaltet zugleich die stoische Lehre über die ablehnende Haltung zu den Kulten.
Lesezeichen