Teil 6
A
Die Mysterienkulte der Antike und ihr Einfluss auf das Frühchristentum
„Wenn wir (Christen) behaupten, der Logos, nämlich Jesus Christus, unser Paidagogos (Lehrer/Erzieher), sei gekreuzigt worden, gestorben, wieder auferstanden und in den Himmel aufgestiegen, so bringen wir doch im Vergleich mit euren Zeussöhnen nichts befremdliches vor. Wenn wir sagen, Jesus sei der Logos Gottes aus Gott geboren, so ist das doch etwas, was wir mit euch (Griechen und Römern) gemeinsam haben, die ihr doch auch den Hermes, den von Gott Kunde bringenden Logos nennt. Und sollte man daran Anstoß nehmen, dass Jesus gekreuzigt worden ist, so hat er auch das mit euren erwähnten Zeussöhnen gemeinsam, die doch auch gelitten haben (Dionysios, Herakles, Osiris, Attis, Mithras, etc). (Justin I. Apol. 21 + 22)
„Diese Nahrung heißt bei uns Eucharistie. Niemand darf daran teilnehmen, als wer unsere Lehren für wahr hält, das Bad zur Nachlassung der Sünden und zur Wiedergeburt empfangen hat und nach den Weisungen Christi lebt. Denn nicht als gemeines Brot und als gemeinen Trank nehmen wir sie; sondern wie Jesus Christus, unser Erlöser, als er durch Gottes Logos Fleisch wurde, Fleisch und Blut um unseres Heiles willen angenommen hat, so sind wir belehrt worden, dass die durch ein Gebet um den Logos, der von ihm ausgeht, unter Danksagung geweihte Nahrung, mit der unser Fleisch und Blut durch Umwandlung genährt wird, Fleisch und Blut jenes fleischgewordenen Jesus sei. Denn die Apostel haben in den von ihnen stammenden Denkwürdigkeiten, welche Evangelien heißen, überliefert, es sei ihnen folgende Anweisung gegeben worden: Jesus habe Brot genommen, Dank gesagt und gesprochen: „Das tut zu meinem Gedächtnis, das ist mein Leib“, und ebenso habe er den Becher genommen, Dank gesagt und gesprochen: „Dieses ist mein Blut“, und er habe nur ihnen davon mitgeteilt. Auch diesen Brauch haben die bösen Dämonen in den Mithrasmysterien nachgeahmt und Anleitung dazu gegeben. Denn dass Brot und ein Becher Wassers bei den Weihen eines neuen Jüngers unter Hersagen bestimmter Sprüche hingesetzt werden, das wißt ihr oder könnt es erfahren.“ (Justin I. Apol. 66)
„Auch die Heiden, aller Einsicht in die geistigen Kräfte bar, messen ihren Idolen dieselben Wirkungen bei. Allein sie täuschen sich mit bloßem Wasser. Zu manchen Kulten nämlich lassen sie sich durch ein Bad aufnehmen, zu den Kulten der Isis oder des Mithras; auch tragen sie ihre Götter zu Abwaschungen heraus. Die Landhäuser, Wohnungen, Tempel und ganze Städte sühnen sie aus durch Besprengung mit überall umhergetragenem Wasser, lassen sich wenigstens zur Zeit der Apollospiele und der Eleusinien darin eintauchen und leben dann in dem Wahne, dergleichen zum Behuf der Wiedergeburt und Straflosigkeit für ihre Meineide vorzunehmen. Ebenso entsündigte sich bei den Alten, wer immer sich durch einen Totschlag befleckt hatte, mit Sühnwasser.“ (Tert. de baptismo 5.)
„Jedoch man fragt, von wem eine solche Auffassung von jenen Dingen vermittelt werde, daß sie zur Entstehung von Häresien dienen. Vom Teufel, versteht sich, dessen Rolle es ja ist, die Wahrheit zu verdrehen, der sogar die Handlungen der göttlichen Sakramente in seinen Götzenmysterien nachäfft. Er tauft auch - natürlich seine Gläubigen und Getreuen; er verheißt Nachlassung der Sünden in Kraft eines Taufbades, und wenn ich noch des Mithras gedenke, so bezeichnet er dort seine Kämpfer auf der Stirn, feiert auch eine Darbringung von Brot, führt eine bildliche Vorstellung der Auferstehung vor und nimmt unter dem Schwerte einen Kranz hinweg.“ (Tert. de praescriptione haereticorum 40)
Was ich hier anführe sind nur einige wenigen Zitate aus den sog. Apostolischen Vätern, die sich dem Thema Christentum und heidnische Mysterienkulte stellen.
Schon früh mussten sich christliche Gelehrte dem Vorwurf stellen, dass sie heidnische Kulte und ihre Ideen kopiert hätten.
Nur wenige Zeugnisse dieser Kritik haben die Zeiten überstanden, denn die Kirche suchte schon früh all diese Schriftzeugnisse zu vernichten. Unsere Quellen zu dieser Kritik sind also äußerst dürftig und doch zeigen die oben angeführten Beispiele deutlich, es gab diese Kritik und es erstaunt nicht, dass gerade auf diesem Sektor die apostolischen Väter eifrig Kampfschriften verfassten, um diese Kritik aus dem Weg zu räumen.
Trotz allem bemühen der Kirche über 1800 Jahre will diese Kritik nicht verstummen und mehr denn je wird gerade durch die Auffindung antiker Zeugnisse diese Kritik immer lauter und vor allem wissenschaftlicher.
Keine Religion entsteht in einem luftleeren Raum, sondern ist immer ein „Kind“ seiner Zeit, seiner Vorkulturen, Vorreligionen und gesellschaftlicher Gegebenheiten. Besonders bei der christlichen Religionsgeschichte ist diese Tatsache ein ganz wesentlicher Faktor, denn diese Religion entstammt nicht nur israelitischen Einflüssen, sondern lässt ein breites Entwicklungsfeld im gesamten antiken Raum erkennen. Vom vorderen Orient bis nach Afrika und Europa lassen sich diese Einflüsse nachvollziehen und bilden ein fast undurchdringbares Geflecht von Entwicklungen, die letztlich zu dem führten, was wir heute als Christentum definieren und diese Religion zur Weltreligion machte.
Vorab muss ich sagen, es ist unmöglich sich allen Einflüssen zu stellen, das würde den Rahmen bei weitem sprengen und deshalb möchte ich gezielt auf einzelne – markante – Einflüsse Bezug nehmen die insbesondere zum vorhergehenden Themenkomplex Stellung beziehen. Im Focus sollen dabei nicht nur markante antike Mysterienkulte stehen, sondern vor allem deren Kultpraxis und ihre Einflüsse auf das Frühchristentum. Ein zweiter Schwerpunkt muß folglich der Einfluß philosophischer Systeme auf die frühchristliche Theologie sein.
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