Es folgt Teil 5. Messiasglaube, Antichrist und Satansglaube
Es ist erstaunlich, wenn man essenische Schriften liest, dann fehlt ein Wort in besonderer Weise, es ist das Wort Ge`ulah = Erlösung. Mochten die Essener keine Erlösung?
Wenn man sich den historischen Textbefund der zweiten Tempelperiode 500 v. Chr- 70 n.Chr. anschaut dann fällt einem geradezu ins Auge, wie wenig Textinhalt sich mit dem Messias beschäftigt. In keiner einzigen Schrift im biblischen oder gar rabbinischen Kontext findet man den Namen eines Messias noch findet man eine ausführliche Beschreibung über das Wesen und die Mission des Messias. Es gibt Andeutungen und Symbolbeschreibungen aber nirgends gibt es eine klar zugeschnittene Lehre oder gar Glauben über und an eine solche Gestalt. Das ist umso beachtlicher, weil gerade aus dem Judentum viele messianische Bewegungen hervorgingen, die jedoch sich im Wesentlichen einem solchen Ansinnen – Lehre über einen Messias verschlossen – und viel mehr apokalyptische Szenarien entwarfen, die das Kommen des Messias oder der Messiasse begleiteten. Stopp wird man hier sagen wollen, es gab doch Messiastraditionen, die schon vor Jesus existierten? Hier müssen wir innehalten, denn es besteht ein großer Unterschied über angenommene Ansichten und Meinungen über einen oder gar mehrere Messiasse oder eine klar definierte Lehre über einen oder mehrere Messiasse! Eine solche Lehre gab und gibt es nicht im „rabbinischen Judentum“, wohl aber Ansichten und Deutungen, die jedoch keinen festen Fuß in Israels bunten Lehrmeinungen fanden. Und dafür gibt es gute Gründe. Denn der Messias gehört zum Jenseitigen Bereich, über das man sich kein Bildnis machen sollte, wie uns die Tora lehrt. Andeutungen und Annahmen ja, aber eben keine verbindlichen Lehren. Genau dieser Fakt ist entscheidend, wenn wir uns zwei Gruppen zuwenden wollen, die genau diesen Rahmen sprengten. Als erste Gruppe die diese Tabu brach waren die Essener und in dessen Folge dann 100 Jahre später die Nachfolger Jesu – die Urgemeinde in Jerusalem und in dessen Folge dann in ganz dramatischer Weise das Judenhellenistische Christentum, das ich ganz bewusst mit Paulus und Johannes namentlich benennen möchte.
Doch schauen wir zuerst auf die Essener, die Vorreiter auch auf diesem Sektor, die auf Grund ihrer Theologie einen ganz besonderen Focus auf den Messias als Endzeitkämpfer legen.
Wenn man sich den Sachstand im essenischen Schrifttum anschaut, dann gewinnt besonders bei ihrem Schriftgut Sacharja 4/12 – 14 an Gewicht und wird zur maßgebenden Bedeutung für eine Messiaslehre.
Der Ursprung von Sacharja liegt in der Perserzeit und verknüpft den Ansatz, dass eines Tages Israel sowohl Königlich - Weltlich wie auch Priesterlich – Geistlich in voller Macht erstehen wird. Für Israel haben diese beiden Messiasgestalten schon früh eine besondere Bedeutung gehabt, denn zugleich stellten diese beiden Gesalbten das vollkommene Israel dar, das als Königreich Gottes und Heiligtum Gottes hier auf Erden Gottes Macht symbolisieren. Als Einheit, die Glaube, Volk und Land zusammen hält. Diese Hoffnung auf die Einheit Israels, auf eigene Staatshoheit, freien Glauben war viele Jahrhunderte von Israel genommen und stellte die Sehnsucht des Volkes dar, das den davidischen Zeiten nachtrauerte.
Für die Essener war hier die Grundlage für einen Messiasglauben vorgegeben, der detailliert weiterentwickelt wurde. Der Königmessias aus dem Hause David und der Priestermessias aus dem Hause Aarons wurden die klassischen Vorbilder für den essenischen Messias.
Bei der Bedeutung der zwei Messiasse überwog der Priestermessias jedoch deutlich dem des Königmessias. Denn der Priestermessias stellte neben weltlicher Tempelmacht auch noch die Gottesmacht dar, der sich selbst die Könige beugen mussten. Der Himmlische Hohepriester war Herr über Könige und Propheten, ja sogar über die Engel Gottes. (Es ist interessant, dass sich dass spätere Papsttum auf eine nahe stehende Schrift der Essener bezog (Testament Naphtali und Levi) und folgenden Satz für sich übernahm: „Das Priesteramt ist größer als die Königswürde“ und daraus seine weltliche Macht über Könige legitimierte.)
Zu diesen zwei Messiasgestallten gesellte sich noch ein dritter Messias hinzu, der mystische Messias, der geheime Prophet, den Moses einst verkündet hatte (Dtn. 18/18).
Die Essener glaubten also faktisch an drei Messiasse und hier lagen sie anderen israelitischen Ansichten gar nicht so fern. Denn alle drei Messiastypen finden sich auch in der breiten rabbinischen Literatur wieder, allerdings ohne Lehrgehalt und Festlegungen in ihren Bedeutungen.
Die Essener verstanden sich in erster Linie als prophetische Bewegung in dieser der Geist der Prophetie lebendig war. Die stärksten Zeugnisse über die Essener die von Außenstehenden geäußert werden betreffen dann auch genau diesen Aspekt. Sie war als ganz besondere prophetische Bewegung zu Ruhm gelangt. Von einem Verlöschen der Prophetie, wie sie in der Makkabäerzeit (Makk. 4 / 44 – 46 + 14/ 41) berichtet wurde ist unter Essenern nichts bekannt. In ihrer Gemeinschaft ist das Prophetentum noch lebendig und aktuell aktiv. Doch stellten sie sich nicht in die gleiche Reihe wie die Vorhersage des Moses und sahen sich wohl eher in der Linie der alten Prophetenschulen des Jesaja und Jeremia.
Das verlöschen der Volksprophetie in Israel war für die Essener ein deutliches Zeichen dafür, dass Israel und seine Repräsentanten von Gott abgefallen sind. Zugleich war der prophetische Geist für die Essener die Legimitation schlecht hin, als die Einzigen – als einzig wahres Israel – die heiligen Schriften richtig auslegen und werten zu können, ja dessen Geheimnisse offenbaren zu können und somit als Einzige das rechte Wissen über den bzw. die Messiasse zu haben. (Der christliche Selbstanspruch ist also auch hier nicht neu!)
In diesem Geiste formierte sich auch die Essenische Gemeinschaft, die aus Priestern, Ältesten/Lehrern und Propheten bestand. Diese Dreiteilung ist kein Zufall, sondern an den Messiastraditionen orientiert und genau diese Einteilung übernimmt auch Paulus für seine Gemeinden.
Die geistige Messiasausrichtung zeigte zudem eine Besonderheit, die nicht darin bestand Erlösung zu finden, denn die Essener waren ja durch ihren heiligen Bund schon erlöst, sondern darin für das Gericht Gottes bereit zu sein, für den Endkampf, den der bzw. die Messiasse gegen den Antimessias führen müssen. Sie, die Essener sind die Armee Gottes auf Erden, die sich geistig für diesen Endkampf rüsten muß. Sie sind die irdischen Gottessöhne des Lichtes, die mit himmlischen Herrschaaren gegen Satan und den Antimessias (Antichristen) schon jetzt kämpfen, nicht mit irdischen Waffen, sondern mit dem Helm des Glaubens, dem Schwert des Glaubens und dem Schild des Glaubens. Sie wurden vor Urzeiten von Gott dafür geschaffen und erwählt, Streiter des Lichtes zu sein. Ihr Anführer wird der Messias sein, in dessen Gefolge sie mit Himmlischen Herrschaaren die gefallenen Engel und die gefallene Menschheit vernichten wird. Bis dahin muß die heilige Gemeinde aber aushalten und wachen, sie muß so manche Heimsuchung erdulden bis der Heilige Gottes offenbar wird. Die sog. Kriegsrolle aus Qumran – auch 1 QM genannt - gibt in seiner Gesamtheit all das hier Erwähnte wieder, siehe auch 1 QSa, 1Q28a, Q177, ff.
Doch schauen wir uns einen speziellen Texte genauer an, den über den Antimessias = Antichristen / Messias = Christos.
4Q 246: 1/2 - 9: König, Zorn kommt über die Welt und deine Jahre werden verkürzt sein (werden) solcherart ist deine Vision, und all das wird über die Welt kommen. Inmitten großer Zeichen (und Wunder) kommt Leid über das Land. Nach vielen Mord und Totschlag 8kommt) ein Fürst der Nationen (und) wird sich erheben … der König von Assyrien und Ägypten (Babylon)…. Er wird der Herrscher über das Land sein …. (alle) werden ihm untertan sein und alle werden (ihm gehorchen.
4Q 246: 2/ 1 - 10: So wird sein Sohn „der Große“ genannt werden und durch seinen Namen gekennzeichnet sein. Er wird der Gottessohn genannt werden, sie werden ihn den Sohn des Höchsten nennen. Doch wie Sternschnuppen, die du in deiner Vision sahst, wird ihr Königreich sein. Sie werden nur ein paar Jahre regieren über das Land, während Völker (andere) Völker zertreten und Nationen (andere) Nationen. Bis sich Gottes Volk erhebt; dann werden alle Ruhe vom Krieg haben. Ihr Königreich wird ein ewiges Königtum sein und ihre Wege werden rechtschaffen sein. Sie werden im Land gerecht urteilen und alle Nationen werden Frieden schließen. Der große Gott wird ihr Helfer sein, Er selbst wird kämpfen und Völker in ihre Macht einsetzen und sie alle vor ihm umstürzen. Gottes Herrschaft wird eine ewige Herrschaft sein, und alle Tiefen der Erde sind sein.
Dieser Text, der leider nur noch in Fragmenten erhalten ist handelt vom Antimessias und seiner schrecklichen Herrschaft über die Erde. Er ist der Sohn des Satans, der sich als Sohn des Höchsten ausgibt und große Zeichen und Wunder tut der in dessen Namen die Weltherrschaft übernimmt, bis die Kinder Gottes ihn stürzen werden.
Als man die die Texte aus Qumran übersetzte staunten viele Wissenschaftler nicht schlecht als sie die Summer der Ergebnisse offenbar wurde. Was schon zuvor jüdische und auch stark umstrittene christliche Wissenschaftler vermuteten zeigte sich nun in seiner ganzen Bandbreite. Ganz wesentliche Elemente neutestamentlicher Textinhalte und frühchristlicher Theologie entstammen dem essenischen und apokalyptisch sektiererischen Umfeld (Persien, Ägypten) des Judentums und des Philohellenismus. Ganz besonders trifft dies auf die apokalyptischen und messianischen Ansichten zu. Diese Ansichten, die im Wesentlichen dem rabbinischen Judentum zwar nicht fremd, jedoch zutiefst suspekt waren wurden zu einer der wichtigsten Stützen christlichen Glaubensinhaltes.
Hier müssen wir kurz inne halten und fragen, was davon übernahm Jesus und seine Anhänger und was fügten spätere Redakteure hinzu?
Glaubte Jesus an eine Satansmacht, die das Judentum, außer den Essenern und apokalyptischen Kreisen, so nicht kannte? Glaubte Jesus an einen Antchristen, auch eine Ansicht, die sonst im Judentum unbekannt ist? Glaubte Jesus an den Messianismus der sich dann in ihm selbst darstellen sollte?
Zieht man die Synoptiker (Markus, Matthäus und Lukas) zu rate, so kann man diese Fragen mit Ja und Nein beantworten. Jesus gebärdete sich nicht wie einer der Messiasdarsteller der Essener, sondern viel eher denen rabbinischer Auffassung – leidender Gottesknecht und doch erscheint er in der Nachfolgeliteratur als ein solcher wie bei den Essenern (Paulusbriefe, Johannesapokalypse, Johannesevangelium, etc). Einen ausgeprägten Satansglauben kann man bei Jesus nicht feststellen und doch gibt es Ansätze für eine solche Annahme. Deutlich wird ein solcher Glaube erst im nichtsynoptischen Schriftgut außer Lukas, der die Henochschrift über die gefallenen Engel zitiert, die übrigens den Essenern als heilig galt und vornehmlich von Paulus und der Johannesapokalypse zitiert wird. Von einem Antimessias scheint hingegen Jesus nichts zu wissen, wenn man sich die Textschichten genauer anschaut.
Es erscheint vielmehr als Summe des Ganzen so zu sein, dass das, was Jesus im Wesentlichen zu besagter Thematik wiedergibt relativ wenig zu sein scheint und sich mit rabbinischen Überlieferungen deckt. Richtig ist aber auch, dass man ziemlich deutlich belegen kann, dass Jesus zumindest einen Teil der Lehren der Essener kannte und diese massiv bekämpfte und das wird um so beachtlicher, denn das was oft pharisäischen Gelehrten in den Mund gelegt wird, entstammt in Wirklichkeit essenischen Glaubens und eben nicht pharisäischer Ausrichtung. Ein überaus wichtiges Ergebnis, dass ernsthafte Nachfragen zu den Absichten der Autoren des N.T. und hier insbesondere der Evangelien aufkommen lässt. Wusste man etwa doch nur zu gut, dass besonders spätere Judenchristen wie Paulus und Gefolgsleute ganz offen und unverholen essenisches Lehrgut in die eigene Theologie übernahm und verkündete, was ich nun schon mehrfach deutlich belegen konnte. Wie konnten die einstigen wirklichen Gegner Jesu, die zudem ihre engsten verbündeten in Herodes und folglich den Römern fanden, zu geistigen Paten eines neuen Glaubens werden, wenn man Jesu Feindschaft zu diesen offenbar werden lies? Hier, so glaube ich, liegt der eigentliche Kern der Problematik zum N.T. und dessen Lehrgut und Historizität. Es ist der massive essenische Einfluß, der sich ganz besonders im hellenistischen Einflussbereich breit machen konnte und zu einer ganz neuen und eigenständigen Theologie – außerhalb des Judentums – führte.
Doch zurück zu den Messiassen der Essener. Die These von den drei Messiassen konnte sich theologisch nicht durchsetzen, die Idee zündete jedoch in einer neuen Idee, die Vereinigung dieser drei Messiasse in einer Person. Dazu verhalfen nicht nur rabbinische Ansätze (anderen Ortes bin ich schon darauf eingegangen), sondern ganz wesentlich war dafür ein historischer Akt. Es war kein geringer als Johannes Hyrkanos, aus dem Geschlecht der Hasmonäer, der für sich in Anspruch nahm die drei Kronen der Würde zu tragen. Er vereinigte in sich das Hohepriesteramt, die Königswürde und gab sich zugleich als Prophet Gottes aus (Josephus / jüdischer Krieg XII / 300). Sein Machtanspruch führte letztlich zum Untergang des damaligen Israels, doch die Idee war nun ganz praktisch geworden. Die Essener stellten sich gegen diesen Machtanspruch durch Rückzug aus der Gesellschaft – stiller Protest – und suchten in der Rückschau auf historische Ereignisse mehr denn je in den Schriften nach deutlichen Anzeichen für das Kommen des Messias und sein Erscheinungsbild. Das spätere Schriftgut der Essener spricht kaum noch von drei Messiassen, sondern nur noch von dem Messias und es ist zu vermuten, auch bei ihnen setzte sich der Universalmessias durch. Bezeichnend dafür ist der Text aus 1Q28b und 1QSb aber vor allem 4Q 369 der vom Erstgeborenen Gottes spricht, einem Universalmessias. Dass in diesem Text die Verwandtschaft zum Hebräerbrief unübersehbar ist – bis hin zum Argumentationsgut, ist von der überwältigenden Mehrheit der Textforscher anerkannt. Aber auch das Qumrantextzitat, das sich in Kolosserbrief 2/7 wieder findet ist ein deutlicher Beleg dafür, wessen geistiger Vater hinter der mythischen Ausarbeitung der Messiasgestalt steht.
In den Qumranschriften und hier besonders in 4Q382 lassen sich darüber hinaus ganz neue Ausschmückungen der Messiasgestalt finden, die unter anderen darin Gipfeln, das der Messias einen prophetischen Vorläufer hat. Noch interessanter ist jedoch in diesem Zusammenhang der Text von 4Q521 der ganz erstaunliches zu berichten weiß. So wird durch den Messias folgendes geschehen, was er seinen zeugen bezeugt: … „Gefangene werden frei gelassen, die Augen der Blinden zu öffnen, Gebeugte aufzurichten … er wird die Toten auferwecken und den Leidenden die frohe Nachricht verkünden … er wird die hungernden sättigen“(7 – 14). Die Parallelen zu Matthäus 11/ 2 -5 und Lukas 7/22 sind nicht zuletzt aus der Aufzählung erstaunlich.
Noch erstaunlicher jedoch sind die Berichte in 4Q521 über das letzte Gericht, die sich fast Wortgleich in Apok. des Joh. 20/4 -6, 1. Kor. 15/12 und Matth. 22/ 30 – 32 wieder finden.
Deutlich lassen sich in den essenischen Schriften die Entwicklungen zum Universalmessias erkennen, die letztlich im selben Messiasselbstverständnis offenbar werden wie sie uns in Teilen der Hebräerbrief, Pauluszitaten und vor allem die Apokalypse des Johannes darstellen.
Deutlich unterschieden sind die Vorstellungen jedoch darin, dass der Messias leidet oder gar sterben müsse. Dieser Einfluß ist den Essenern gänzlich fremd und auch ein Sühn- oder Opfergedanke entzieht sich ihrer Glaubenswelt.
Die Vorstellungswelt über Satan, Antichrist und himmlischen Messias sind jedoch in großer Mehrheit identisch und dies ist ein Tatbestand, der nicht zufällig entstanden ist, sondern deutlich Licht auf die Spätzeit der Urgemeinde wirft.
Es folgt Teil 6.
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