Teil 2
Jesu Hingabe gerade zum Rand der Israelitischen Gesellschaft, den „Sündern“ und Zöllnern, Dirnen und Kranken, den Armen und Ausgestoßenen hat einen ganz tiefgründigen sozialen Hintergrund. Es ist die Ungerechtigkeit im Lande Israel, die soziale Randgruppen schafft, Armut hervorruft, Kranken nicht hilft, Prostitution und Wucher fördert. Genau hier setzt er mit seiner „Gottesbotschaft“ die Glückseligpreisungen an und genau hier fordert er von der geistigen Elite seines Landes Liebesgebotserfüllung (Scheltreden gegen Sadduzäer, Pharisäer, Essener). Im gleichen Atemzug kritisiert er herrschaftliche Strukturen inkl. ihrer Despoten (Mt. 20/ 25 – 27), die den Anliegen Gottes nicht entsprechen wollen. Jesus war sicher kein sozialer Revolutionär, der aus politischen Interesse für die Ärmsten eintrat, sondern viel mehr verstand er seine Kritik aus seinem Verständnis zur Tora (Mt. 5 / 17 -19 + 22/ 36 – 40, etc). Insbesondere Jesu Scheltreden gegen Reiche und Herrscher, die ihren Wohlstand und ihre Macht missbrauchen ist ein zentrales Thema in Jesu Gesellschaftskritik. Hier scheint er oberflächlich gesehen ganz nahe den Essenern zu stehen, die in einem ganz strengen Armutsgelübde lebten.
Die Essener lebten, als Söhne des Lichtes, abgesondert vom Rest Israels in einer postkommunistischen Gütergemeinschaft zusammen. Die Armut galt als tugendhaft und sollte auch Zeichen setzend sein gegenüber dem Rest der Welt, der dem Wohlstand und der Prasserei huldigte. Ihr gesamtes Wirtschaftssystem war auf diese Ideale zurechtgeformt und ihre Verbindungen und vor allem Abhängigkeit zum Rest Israels und der Welt war auf ein absolutes Minimum beschränkt. „Keiner esse etwas aus ihren Besitz und trinke nichts, noch nehme er etwas aus ihren Händen, was nicht durch Kauf erworben ist…denn alle Verächter Seines Wortes wird Er vertilgen aus der Welt, all ihre Werke gelten als Unflat vor Ihm, und Unreinheit haftet an ihren Besitz“. ( I QS 5,14 -20, CD 6, 14 – 15, etc.) Dieser sozialreligiöse Separatismus, der alles andere als Unflat erklärt, was nicht den essenischen Reinheitsvorstellungen entsprach war einmalig in Israel. Reinheitsvorstellungen sind freilich nicht nur kultischer Form, sondern mehr noch die radikale Abwendung von Besitz jeglicher Form, der als Götzendienst – Dienst an Mammon verstanden wurde.
Es scheint, dass Jesus genau diese Lehre der Essener aufgreift und auch vertritt (z.B. Mt. 6,24, etc). Und in der Tat ist es so, dass Jesus in seiner Lehre sehr deutlich diesen essenischen Grundansatz vertritt, der so in Israel sonst nirgends zum religionstheologischen Thema wurde.
Dass Jesus die Essener und ihr Lehrgut sehr gut kannte ist hinlänglich wissenschaftlich gut belegt und dass er ihre Lehren selbst auch übernahm, ist ein ebenso gut belegtes Faktum. Doch Jesus kritisierte im gleichen Atemzug auch die Schlussfolgerungen der Essener aus ihrem sozialtheologischen Ansatz. Nirgendwo deutlicher wird dies genau an der Frage, wie der „Gerechte“ mit seiner Umwelt umgehen soll. Die Essener verschanzen sich, um es einmal salopp zu sagen, in die Abgesondertheit zu ihrer Umwelt und distanzieren sich vom Rest Israels. Jesus hingegen geht genau den entgegengesetzten Weg und begibt sich zu diesem Rest Israels. Ein Textstelle die unmittelbar Bezug auf die Essener in den Evangelien nimmt und sie sogar namentlich erwähnt sei hier beispielhaft angeführt: Aus dem griechischen direkt übersetzt: Lukas 16, 8 – 9: „…; denn die Söhne dieser Welt sind klüger als die Söhne des Lichtes in ihrer eigenen Art (Lebensweise). Und ich sage euch, macht euch Freunde aus dem Mammon der Ungerechtigkeit, damit, wenn es aufhört, sie euch aufnehmen in die ewigen Zelte.“ Diese Aussage des Lukasevangeliums ist äußerst bemerkenswert, weil sie nicht nur im griechischen den typisch essenischen Sprachterminus wiedergibt, sondern auch Begriffe, die dem essenischen sehr Eigen sind. Übersetzt man diese Sätze ins Mischnaisch der Essener zurück, so können wir uns leicht in der Sprach- und Lebenswelt der Essener und auch von Jesus wieder finden.
Jesus ruft also letztlich dazu auf, diesen Besitz nicht zu verschmähen, sondern ihn richtig einzusetzen um in das Königtum der Himmel (ewigen Zelte) einzugehen. Ja mehr noch, macht euch die Mammonbesitzer zu Freunden, zieht sie auf eure Seite, führt sie zurück zu den Wegen Gottes, dass ist Jesu Anliegen (vgl. Parabel vom reichen Jüngling).
(Anmerkungen zu diesem Lukasstück: Schon lange hat insbesondere dieses Lukasstück Schriftforscher und Linguisten beschäftigt, denn die Urtümlichkeit des Sprachterminus, der in diesem Textstück hervortritt und auf eine Direktübersetzung aus einer mischnaischen Quelle ins griechische verweist, ist äußerst selten im Lukasevangelium, dass durchs ein vorzügliches Griechisch brilliert. Besonders auffällig ist der Begriff ewige Zelte und noch auffälliger ist der Terminus: „sie euch aufnehmen“ (plurale tantum). Hier treffen wir auf eine Begriffsform die weder im griechischen noch im aramäischen anzutreffen ist und allein im mischnaisch der Zeit Jesu anzutreffen ist. Die ewigen Zelte ist ein umgangssprachlicher Terminus, der für die Himmel steht. Was fälschlicher Weise teilweise im Griechischen, mehr noch Lateinischen und fast überall im Deutschen als „der Himmel“ wiedergegeben wird, ist dem Israeliten fremd. Diese Singularform die sich aus dem Begriff Königreich ableitet ist eine klare Falschdeutung und Fehlübersetzung aus dem Mischanisch. Denn der Begriff Königreich wird im Hebräischen und Mischnaischen nie im Bezug auf Gott angewandt. Ein Königreich ist immer begrenzt auf Zeit und Raum. Ein Königtum, ist ein lebendiger Zustand, „Eines Herrschers“ über alles und allem – in diesem Fall überdimensional – der Himmel – also Mehrzahl (plurale tantum). Vgl. dazu auch Jes. 66,2 und Jes. 57,15 Jesus spricht im Gegensatz dazu von seinem Königreich aber nie vom Königtum! Also hier schon deutlich ein Verweis auf den Unterschied zwischen der Königsherrschaft Gottes, welche von Ewigkeit bis in alle Ewigkeiten besteht und der Begriffswelt des Königreiches (messianisches Reich), welches seine Vollendung nur im Königtum Gottes finden kann, durch die absolute Herrschaft Gottes.)
Nun aber zurück zum eigentlichen Thema.
Besitztum ist für Jesus ein grundlegendes Hindernis für eine echte Gottesnachfolge (Mt. 6, 24 ff). Armut, Niedrigkeit im Stand und Ansehen, Demut und Reinheit des Herzens sind für Jesus hingegen die Voraussetzungen für eine echte Gebotserfüllung und Gottesnachfolge. Hier sind sich Jesus und die Essener ganz nahe und dies wird an einem noch weiteren Punkt deutlich. In den ersten zwei Glückseligpreisungen. Genau in gleicher Abfolge und in genau gleichen theologischen Inhalt (Wortterminus) finden sich diese Preisungen wieder. 1 QH 18, 14 – 15: „….deine Güte, den Demütigen zu verkündigen nach der Fülle deiner Barmherzigkeit. …aus der Quelle … die zerschlagenen Geistes sind und Trauernde zu ewiger Freude…“ (Der Text ist leider nur noch fragmentarisch erhalten, doch erlaubt ganz wesentliche Einblicke in essenische Glückseligpreisungen) Hier nun das Gegenstück aus den Glückseligpreisungen Jesu (Rückübersetzung aus dem Griechischen ins Mischnaisch der Zeit Jesu): Mt. 5,3. Glückselig sind die, die vor Gott und der Welt arm sind, denn von solchen wie diesen ist das Königtum der Himmel beseelt. 5,4. Glückselig sind die Trauernden, denn Gottes Trost ist ihnen gewiss.
Noch deutlicher wird das Schriftgut, das aus dem jüdisch apokalyptischen Raum entstammt und den Essenern sehr nahe stand und auch aus dessen ursprünglichen Umfeld entstammt: „… und die in Traurigkeit starben, auferstehen werden sie in Freude, und die Armen werden Reich werden, und die Hungrigen werden gesättigt werden, und die Schwachen werden stark werden, und die um des Herrn (Gottes) willen gestorben sind, werden im Leben erwachen…“ (T.d 12 Pat.)
Die Ähnlichkeiten sind nicht zufällig, sondern verweisen auf eine ganz eigenständige Sichtweise, die in ihrer Absolutheit so im alten Israel nicht gelehrt wurden und ihre Ursprünge in der Prophetenbewegung hatten.
Die Essener und in dessen Folge Jesus erhoben diesen ethischen - moralischen Maßstab zu einer Größe, die ganz massive Einflüsse auch auf den Pharisäismus und den Rabbinismus hatten. Beispielhaft sei hier I QS 10, 17 -20 angeführt: Keinem will ich vergelten das Böse, mit Gutem will ich den Menschen verfolgen, denn bei Gott ist das Gericht über alles, was lebt, und ER wird ihnen die Vergeltung heimzahlen… . Den Streit mit den Männern des Verderbens will ich nicht aufgreifen bis zum Tage der Rache, und meinen Zorn will ich nicht abwenden von den Männern der Bosheit und will nicht zufrieden sein, bis Er das Gericht bestimmen wird“. Auch hier sind die Parallelen zu Jesu Lehrgut unübersehbar und fast wortwörtlich identisch. Und doch zeigen sich gerade in diesen Ausführungen auch ganz wesentliche Unterschiede zu Jesu Lehrgut, die insbesondere den Rachegedanken der Essener umfassen. Hier trennen sich beide Wege sehr deutlich, gleich wohl auch Jesus auf das Endgericht verwies, doch sein Tenor war ganz anders gelagert. Denn die Essener gingen von einer Vorbestimmung aus, wie ich schon ausgeführt hatte.
Es folgt Teil 3
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