Die Prädestinationslehre bei Essenern und bei Paulus und Johannes
Die Prädestinationslehre der Essener ist eigentlich denkbar einfach. Der weltberühmte Religionswissenschaftler und Qumran - Schriftenforscher David Flusser fasste es in folgenden Worten zusammen: „Von Gott der Erkenntnis kommt alles Sein und Geschehen. Ehe sie sind, hat er ihren Plan festgesetzt. Und wenn sie da sind zu ihrer Bestimmung, so erfüllen sie nach seinem herrlichen Plan ihr Werk und keine Änderung gibt es.“ ( in Anlehnung an 1QS 3/15 * Entdeckungen im N.T. Bd. 2)
Der Qumrantext 1 QH 4, 38 (vgl. auch 15/ 14 – 21) führt dazu weiter aus: Denn du (Gott) hast den Gerechten und den Gottlosen erschaffen.
Diese beiden exemplarischen Textstellen beziehen sich auf ein und denselben Sachverhalt. Es ist die Vorherbestimmung von allen Dingen. Von Guten und Bösen. Aus dieser Sichtweise versteht der Essener seine Welt, in die er von Gott als Auserwählter und Heiliger gestellt wird. Da, wie schon ausgeführt, die Essener glaubten, dass ein Satan seinen Herrschaftsbereich hier auf Erden hat, erklärt sich von selbst, dass die Essener der vorherbestimmte Gegenpol zu dieser Schattenmacht sind.
Als Heilige und Auserwählte Gottes sind die Essener das wahre Volk Gottes, die Gottes Worte richtig versteht und anwenden können. Sie sind von Urzeiten für diesen priesterlichen Dienst vorherbestimmt. Zeichen und Wunder gehen einher mit dieser Vorherbestimmung, wie uns 1 QH 4/32 bestätigt: „Damit die Menschenkinder alle seine (Gottes) Werke erkennen in der Kraft und Stärke und in der Fülle seines Erbarmens über alle Söhne seines Wohlgefallens. Und: Durch dein Wunderbares Geheimnis hast du deine Macht an mir sichtbar werden lassen, wunderbar zu handeln vor vielen um deiner Ehre willen und kundzutun deine Machttaten allen Lebendigen“ (1 QH 4/28).
Nun fehlt noch die andere Seite, die Nichterwählten und Vorherbestimmten. Hier werden die Qumrantexte ebenso deutlich: „Die Gottlosen hast du geschaffen für (die Zeit) deines Zornes, und vom Mutterleib an hast du sie geweiht für den Schlachttag. Du hast sie bestimmt, um an ihnen große Gerichte zu vollziehen, damit alle erkennen deine Herrlichkeit und deine große Kraft (1 QH 15/17+19).
Spätestens hier kommen wir ganz automatisch an Paulus nicht mehr vorbei, wenn wir uns nur beispielhaft Römer 9/22 (etc) anschauen. Hier zeigt sich die gleiche Substanz der theologischen Anschauungen, die im krassen Gegensatz zu Jesu Lehrgut stehen. Gerade die Worte Jesu über die Himmelsreichverschließer sind ein deutlicher Widerspruch zu diesem Lehrgut – siehe auch das Gleichnis vom Reichen Jüngling. Die Überzeugung Jesu, dass Gott ein Rechtschaffender Gott ist, bekommt letztlich in dieser Prädestinationslehre keinen Raum mehr.
Doch auch das Johannesschriftgut entbehrt nicht dieses essenischen Ansatzes. Hierzu eine kleine textliche Gegenüberstellung: Wer aus Gott ist, hört die Worte Gottes; deswegen hört ihr nicht, weil ihr nicht aus Gott seid. (Joh. 8/47) und Denn du (Gott) hast den Gerechten und den Gottlosen erschaffen. …. (über die Gottlosen): Und deine Wahrheit verabscheut ihre Seele und nicht haben sie Wohlgefallen an allem, was du gesprochen hast und sie erwählen sich dass was du hasst. Du hast sie dazu bestimmt, um an ihnen großes Gericht zu vollziehen… (QH 4 / 38 + QH 15 / 18 – 19) Faktisch heißt dies nichts anderes, weil sie nicht aus Gott sind, können sie auch nicht Gottes Worte hören. Man könnte die Liste mit ähnlichen Vergleichsstellen noch weiter führen, doch diese kleinen Beispiele mögen zeigen, wie nahe sich hier die theologischen Ansätze stehen.
Noch klarer und ebenso wörtlich kommt der Erwählungsgedanke im Begriff Gnade zur Geltung. Hier sind sich Qumran und die hellenistische Christengemeinschaft sogar in der Wortwahl gleichwertig. Die Bedeutung, Erwählten oder Gottes Erwählte sind im selben theologischen begrifflichen Kontext der Prädestinationslehre verankert. Ganz besonders bei Paulus wird dies deutlich. Paulus nimmt für sich in Anspruch, dass er bereits vom Mutterleib an erwählt und durch Gottes Gnade berufen sei (Gal. 1/15). Diese Selbstaussage entspricht haargenau den Selbstaussagen der Essener: Nur du (Gott) hast den Gerechten geschaffen und ihm vom Mutterleib an für die Zeit des Wohlgefallens bestimmt, damit er in deinem Bund bewahrt werde. (1 QH 15/ 14 -15) … vom Mutterleib an hast du mir Gnade erwiesen… (1 QH 9/ 29 – 31)
Dieses Selbstverständnis der Prädestination vom Mutterleib an und aus der Gnade Gottes ist geradezu ein fester Bestandteil Paulinescher und Johannischer Theologie und fest verankert im Philonischen Logosmythos (Johannesev. 1/ 1- 14). Denn auch da geht es um nichts anderes als um eine Form der Prädestinationslehre. Spätestens hier treffen wir auf altägyptische Vorstellungswelten, die im Hellenismus eine regelrechte Widergeburt erlebten.
Die vorherbestimmten Erwählten/ Berufenen (z. B. Römer 8/ 30) sind gleich wie in Qumran Gottes Erwählte und Berufene, die aus der Hand des Fürsten der Finsternis entrissen sind durch Gottes Gnade (Kol 1 / 12 -13; Eph. 2/ 1 – 8; etc) Hierzu im Vergleich Qumran: Welche Gott erwählt hat, denen hat er sie zu ewigen Besitz gegeben, und Anteil hat er ihnen gegeben am Los der Heiligen, und mit den Söhnen des Himmels hat er ihre Versammlung verbunden zu einem Rat der Gemeinschaft. ( 1QS 11/ 7 – 8)
Fortsetzung folgt….
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