Ich schließe mich heute mit großer Überzeugung den großen jüdischen Religionswissenschaftlern, Klausner, Flusser und Lapide (etc.) an, die Paulus religiöse Ortsbestimmung bei den Essenern ansiedeln. Sicher war Paulus mal in Schulhaus des Gamaliel und er mag sogar mal zu dessen Füßen gesessen haben, doch es besagt nichts über seine Qualifikationen. Das nicht wenige Pharisäer zu den Essenern übergelaufen sind, besonders hellenistisch geprägte und Paulus kam ja aus der hellenistischen Welt, ist historisch verbürgt. Zudem gab es sehr wohl tiefgehende Berührungspunkte zwischen Essenern und Pharisäern. Beide Richtungen beeinflussten sich nachhaltig. Nicht wenige Ansätze von Pauluslehren tragen in sich pharisäische Züge und doch, sie enden in sich nicht selten in essenischen Ansichten.
Was wissen wir wirklich von Paulus?
Es lässt sich doch einiges zusammen tragen, was für den Hintergrund zu Paulus beachtlich ist. Er ist römischer Staatsbürger und kommt aus der hellenistisch geprägten Metropole Tarsus. Er ist in diesem Umfeld groß geworden und er hat eine überdurchschnittliche Bildung genossen. Er kennt die großen Stoiker seiner Zeit und er ist ebenso gut bewandert im platonischen Lehrgut. Das ist nicht selbstverständlich für die einfache Bevölkerung, auch nicht im Hellenismus.
Paulus war ein Stadtkind (ganz im Gegensatz zu Jesus) und das wird besonders deutlich am sprachlichen Terminus. Insbesondere seine Leidenschaft für kommerzielle Begriffe ist erstaunlich. Kaufen und Verkaufen, sind Grundwörter in seiner Sprachewelt und setzten ein bekanntes Wertesystem voraus, dass er für seine Theologie übernimmt.
Sein Hang zum Obrigkeitsgehorsam, der überhaupt nicht so recht in Jesu Verkündigung passen will, ist zugleich ein Erbe seiner römischen Erziehung, die eine Obrigkeit nicht zur Disposition stellt, da diese von den Göttern / Gott eingesetzt ist. Dass Paulus hier römisches Staatsrecht zitiert, spricht für sich. Das er sich später auf dieses Staatsrecht beruft, um sich aus der Hand seiner „Gegner“ zu retten und sich in die Oberhoheit des römischen Staates flüchtet um sein Leben zu gewinnen, ist ebenso ein merkwürdiger Verlauf in seiner Biographie. Er sucht Schutz und Beistand genau bei denen, die später die Offenbarung als große Hure Babylon bezeichnet?
Sein Gemütszustand war durchaus sehr leidenschaftlich und nicht selten von Wutausbrüchen geprägt, wie man nur unschwer an seinem Beleidungsvokabular erkennen kann, dass er für seine „Gegener“ bereithält. Worte wie Tempelräuber, Ehebrecher, Zerschnittene und Kastraten, Erzlügner, Überapostel, etc, sind nur einige Worte davon und Gipfeln letztendlich im Wortausbruch, der sein „Torastudium“ als Dreck (Skybala) deklariert. Das spricht auch für sich!
Zugleich war Paulus aber auch Realist und schenkte seinen Worten weit weniger Beachtung, als man es heutigen theologischen Auslegern abkaufen will. So weiß er sehr wohl um die Mangelhaftigkeit seines Erkennens (Phil 3.12) und er mahnt zur Prüfung seiner Worte, ja er empfiehlt sogar eine Auswahl dieser Worte gründlich zu betreiben, um nur das Beste zu behalten. Das klingt sehr rabbinisch! Kein Wort von göttlicher Eingebung klingt da an, sondern eher mahnende Worte zur Vorsicht!
Noch immer fragen sich die Gelehrten, wie viel Paulus wirklich von der Tora verstanden hat und diese Frage ist durchaus berechtigt. Seine zwiespältigen Aussagen sprechen deutlich dafür. Liegt es daran, dass er ohne das „Gesetz“ aufgewachsen ist, sprich seine Eltern sich geistig dem Hellenismus angeschlossen hatten? Nichts Ungewöhnliches in damaliger Zeit.
Oder liegt es daran, dass Paulus, einen Spagat versuchte wie andere vor ihm, nämlich Hellenismus mit Judentum zu versöhnen (Philo)? Oder ist die Ursache darin zu finden, dass sich Paulus vom pharisäischen Judentum enttäuscht abwendete, dass gar so fremd ihm erscheinen musste, um sich dann freieren und mystischeren Gedanken zu zuwenden, wie z.B. bei den Essenern?
Es mag wohl von allen etwas darin enthalten sein, klar ist jedoch, Paulus konnte seine jüdischen Wurzeln nie ganz ablegen und handelte dementsprechend widersprüchlich und lehrte auch so. Ein Freigeist, wie wir heute sagen würden, der in verschiedenen Welten zu Hause war und sie zu versöhnen suchte. So kann z.B. Paulus über die Beschneidung schimpfen und zugleich Timotheus beschneiden, er kann die Tora als heilig gerecht und gut lehren und zugleich diese verwerfen und als aufgehoben darstellen.
Mag es wundern, dass seine Gegner, die aus dem Kreis der Urgemeinde kommen, ihn als den bezeichnen, der ein „anderes Evangelium“ verkündet, dass „dunkel“ sei. Paulus vorwerfen das er einen anderen „Geist“ hat, der die Worte Gottes verdrehe und seine Aposteldienst für sehr fragwürdig ansehen, ja ihn sogar der Lüge überführen und dann zu einer saftigen Strafe verdonnern und ihn selbst zum Bußnasirat verdonnern. Ja selbst die letzte Schrift des N.T. stellt sich diesem Problem (2.Petr.) – namentlich Silvanus als Verfasser, der um diese Widersprüche des Paulus und die Kontroversen um seine Lehre weiß.
Paulus schaffte es, so ziemlich alle Juden, ob Jesusanhänger oder nicht, gegen sich aufzubringen und die Mehrheit seiner Weggefährten wandte sich regelmäßig von ihm ab (z.B. Markus).
Dafür gewann er etliche Heiden oder hellenistische Juden für sich und mit ihnen begründete er die Ecclesias, in denen er selbst jedoch schon bald zum Außenseiter wurde.
Für die heidnische Nachwelt wurde Paulus ebenso zum Kritikpunkt. Etliche Philosophen stellten sich den Lehren des Paulus und warfen ihm eine große Inkonsequenz bei der Verbreitung seiner stoischen Lehren vor. Er wurde sogar als widersprüchlicher Sophist bezeichnet, weil er nur dort hellenistisches Lehrgut benutzt, wo es Paulus in den „Kram“ passt. Seine Nähe zum Gedankengut Philo`s wurde hingegen nur als „Nachäffung“ verstanden.
Als man in den letzten 40 Jahren sich der Auswertung des Schriftgutes von Qumran stellte und noch stellt, wurde zugleich auch die Frage nach dem Christentum und dessen Wurzeln zum wichtigen Punkt der Diskussion. Die Ursache dafür war nicht nur die Person Jochanan der Taucher und Jesus, sondern ganz besonders Paulus. Man staunte nicht schlecht ganz wesentliche Züge der Lehren des Paulus darin wider zu finden. Schnell, manchmal auch etwas übereifrig, konnte man Parallelen zum Lehrgut der Frühkirche finden. Doch heute kann man mit größter Sicherheit davon ausgehen, dass der wesentlichste Einfluss den Paulus erlebte, von den essenischen Lehren stammt. (Es würde den Rahmen sprengen hier auf Details einzugehen, da diese so umfangreich sind, deshalb bitte auf Fachliteratur zurückgreifen!)
Und genau hier finden sich deutliche Spuren in der Überlieferung wieder, die genau diesen Sachverhalt bestätigen. Der Weg nach „Damaskus“, ein Synonym für die Gemeinschaft der Essener in Qumran, die in heftiger Kontroverse zu den Pharisäern und noch mehr zum Tempel standen, ist das Schlüsselerlebnis im Werdegang des Paulus. (Hier verwiesen auch auf Fachliteratur!)
Paulus sieht sich am Ende seiner Tage als Pharisäer, als Benjamit, als Jude unter Juden, der den Heiden ein Heide geworden ist, um seiner Botschaft willen. Der von sich behauptete immer treu an der Tora festgehalten zu haben und doch andere lehrte dies nicht zu tun, was an sich schon ein Torabruch ist.
Ich glaube sehr wohl, dass Paulus eine Brücke zu den Völkern der Welt bauen wollte um „seinen Jesus“ und damit auch indirekt den Gott Israels in die Welt zu tragen. Das dadurch Paulus einen Graben schuf, der kaum überwindbar scheint, war ihm nicht bewusst und dass er dadurch die Lehren Jesu entstellte, war sicher nicht seine Absicht. Doch hellenistischer Geist und israelitisches Lehrgut stehen sich unversöhnlich gegenüber, eine Binsenweisheit, an der schon Philo kläglich scheiterte und ebenso die Essener und vor dessen Vereinigung schon Jesus warnte.
Wie also geht man um, mit diesem Paulus von Tarsus? Eventuell so, wie er selbst es sich gewünscht hat: Prüft alles und behaltet das Gute.
Absalom
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