Lieber Gerd, ich schrieb auch, dass eine "Art von Kulturverein" übrig bleiben wird. Ich denke, dass du mit dem Wort "Krise" schon gut den derzeitigen Zustand bezeichnest und richtig ist auch, dass es schon mehrere Krisen im Christentum gab, allerdings ist diese Krise eine substanzielle Wesenskrise, die sich im Gegensatz zu anderen Krisen darin unterscheidet, dass sie auf Grund des Glaubensfundamentes des Christentums ausgelöst wurde. Das ist in der Tat neu und eben nicht mit der Reformation oder Ähnlichem zu vergleichen. Es geht nicht um Glaubensauslegungen bei dieser Krise, sondern um die grundsätzliche Infragestellung einer Religion. An einem Beispiel will ich das in Form einer Fragestellung verdeutlichen. Wie kann eine Religion sich auf einen Religionsstifter begründen, der selbst Zeitlebens nie eine solche Religion begründet hat oder gepredigt hat, sondern Zeitlebens einer anderen Religion angehörte und auch dieser zutiefst verbunden blieb, ja sogar ein Wirken außerhalb dieser – seiner eigenen Religion - gänzlich ausschloss? Noch weiter könnte man jetzt diese Fragestellung dahingehend ausweiten, dass die unmittelbaren Jünger Jeshuas auch keinerlei Anzeichen für eine neue Religion, die sich in ihrer Substanz doch ganz wesentlich von ihrer eigenen Religion unterscheidet, neu gründen wollten.

Hier wird schon die gesamte Problematik deutlich, welche heute zum Tragen kommt und letztendlich für die heutige Religionskrise des Christentums bezeichnend ist. Es die Frage, was sind die tragenden Wurzeln einer Religion, die sich von ihrer Mutterreligion doch sehr deutlich entfernt und entfremdet hat.

Da es nicht nur unter Theologen und Religionswissenschaftlern in den letzten Jahren zu einem Bewusstwerden der ursprünglichen Wurzeln gekommen ist, sondern auch im Kirchenvolk selbst, wird die Aussage, die Johannes Paul II schon stellte: „Wir müssen zurück zu unseren Wurzeln, damit es eine Zukunft gibt“, mehr denn je zur existenziellen Frage, ob einer Religion, die kulturell und theologisch, in wesentlichen Punkten, auf einem anderen Fundament beruht, als die Mutterreligion, eine Rückwendung ohne massive Kursveränderungen überhaupt bewerkstelligen kann. Es gibt hier nur zwei Alternativen, entweder, man macht weiter wie bisher, oder man unternimmt diesen Kurswechsel.

Zudem hat sich eins klar in der Religionswissenschaft herauskristallisiert, Tochterreligionen haben noch nie in der Geschichte der Menschheit eine wirklich dauerhafte Existenz gehabt, da sie dem Kernfaktum des Entzuges des Mutterbodens nicht stand hielten, weil Wesen und Element einer Religion immer auf Basis einer substantiellen Offenbarung beruht, was definitiv im Christentum nicht der Fall ist. Das Judentum ist eine Offenbarungsreligion, die sich auf Gott begründet, dass Christentum basiert auf Abspaltung von der Offenbarungsreligion und es gibt eben keine Offenbarung Gottes zu dieser Abspaltung und Entfremdung vom Mutterboden. Übrigens hat Mohamed einst diesen Sachverhalt zur Kenntnis genommen und sich gewisser Offenbarungen (woher auch immer) bedient um einen Legitimationsausschluss entgegen zu wirken und hat damit in der Tat eine eigenständige und völlig neue Religion erschaffen, weshalb er auch ganz klar ein Religionsstifter genannt wird. Gleiches gilt auch für den Buddhismus, Schintoismus und Bahaismus und anderen Religionen. Der theologische Schachzug des Christentums diesem Sachverhalt Rechnung zu tragen und sich selbst als das wahre und neue Israel auszugeben oder als den geistigen Erben Israels zu benennen, wird heute „Gott sei Dank“ wieder verworfen, war aber über 1600 Jahre Wesensmerkmal jeglicher christlicher Grundaussage zur Eigenexistenz.

Hier setzen nun eine ganze Reihe von Fragestellungen an, die wahrlich das Wesen und die Gestallt des heutigen Christentums massiv zur Eigenbestimmung hinführen. In einer Fragestellung kann man das erläutern: „Was ist das Christentum für eine Religion, welche Wesensmerkmale begründen sich auf diese Religion?“ Unschwer wird man erkennen müssen, dass es eine Mischreligion aus ganz verschiedenen Wesenselementen und Kulturen ist.

Die Frage, die sich mir stellt ist, was für einen Kurs wird das Christentum einschlagen? Zurück zu seinen Wurzeln oder die weitere innere Selbstauflösung betreiben, um endlich im Modernismus zur kulturellen Größe zu verallgemeinern?

Samu