Man kann die Bücher der Gebrüder Grimm lesen und deuten wie man will. Und mitlerweile gibt es auch dazu unglaublich viele verschiedene schriftliche Darlegungen und Ausarbeitungen. Das lernte ich einmal auf einem Literaturforum, wo verschiedenste Ausgaben dieser Bücher zur Debatte standen und deren kultureller Wandel im Lichte der Zeit betrachtet wurde. Wir haben die Freiheit dazu und angesichts der erzählten Grausamkeiten in diesen Märchen gibt es wohl auch eine Notwendigkeit dazu. Nun, sie schrieben ihre Bücher in einer Zeit, wo offensichtlich Brutalität bis hin zum Hinmorden zum Kinderalltag gehörte.
Doch ist es im Sinne der Verfasser – der Gebrüder Grimm -, dass ihre „Werke“ solche Veränderungen erfuhren?
Ich führe ganz bewusst diesen Vergleich an, denn wenn wir heute die Schriften zur Bibel interpretieren wird nichts anderes gemacht. Menschen verschiedenster Religionen und deren Ausprägungen schneidern sie auf die Bedürfnisse unserer Zeit zu. Das hat aber nun einmal nichts mit dem eigentlichen Anliegen der Verfasser zutun, denn sie schrieben ihre Schriften für ihren Kulturkreis, für ihr Volk/Religionskreis und für ihre Interessensanliegen auf.
Nimmt eine andere Religion – oder ein anderer Kulturkreis sich dieser Schriften an, so werden diese nun mal auf die neuen Bedürfnisse zu Recht gestutzt und interpretiert. All das ist eigentlich in soweit in Ordnung, so lange man das auch so klar benennt und die Urheberschaft nicht außer Acht lässt. D.h., dass man ganz klar sagt, wir wissen zwar was die Verfasser damit in ihrer Zeit sagen wollten, wir entnehmen aber diese Texte und deuten sie heute auf unsere Bedürfnisse um.
Religionshistorisch betrachtet tut das die Theologie nun schon tausende von Jahre und in einem jeden Jahrhundert werden neue Wertungen und Interpretationen getätigt. Auch das Judentum tut ähnliches allerdings – und hier besteht der große Unterschied zu Christentum und Islam, man lässt den Ursprungssinn der Verfasser nicht außen vor, sondern benennt klar und deutlich die Absicht der Deutungsveränderung.
Wenn gesagt wird: „ Das Wort Gottes (ein Absurdum an sich schon!) sagt das“, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen das: 1. Diese Sätze einen langen Überlieferungsprozeß hinter sich haben 2. Sie aus einem anderen Kulturkreis entstammen 3. Einer anderen Religionsform angehören 4. In einer anderen Sprache aufgezeichnet wurden 4. Einer uns fernen Bedeutungs- und Sinnverwandschaft zugehören 5. Sie grundsätzlich Kultur- und Religionsgut eines anderen Volkes/Religion sind.
Ganz klar muß man nun ganz nüchtern und sachlich sagen und dabei auch den Mut haben seine religiösen Befindlichkeiten hinten an zu stellen – um einmal bei Jesaja zu bleiben: Jesaja sprach nicht von einem Gottesbild nach christlichen oder islamischen Vorstellungen, sondern er sprach von einem streng monotheistischen Gott (Selbst christliche Theologen nennen Jesaja den „strengsten aller Monotheisten“, dessen Heilswirken gänzlich von ihm persönlich ausgeht. Er kündigte weder einen Ersatzgott an, noch irgendwelche Aufspaltungen Gottes. Er sprach von Israel als Knecht Gottes und von einzelnen Gesalbten als Knecht Gottes, er sprach von Söhnen Gottes und von Großen (Mehrzahl), welche im Sinne Gottes handeln werden. Er sprach von einem leidenden Gottesknecht, der gleich seinem Volke, für Gottes Anliegen leiden wird und untrennbar mit der Geschichte Israels verbunden ist (etwas, was sogar einst Johannes Paul II begriffen hat – Zitat: Sehen wir Israel, sehen wir die Geschichte Jesu – Auschwitz wurde das Golgatha Israels, etc).
Man kann nicht so ohne weiteres die hebräische Tanach in den Dienst aller möglichen Religionen stellen, es sei denn man benennt ganz klar Weg und Ziel dieser Absicht. Doch es hat nichts mit dem Verfasser an sich zutun und noch weniger mit dessen Absichten.
Wenn also – um bei Jesaja zu bleiben- er zu seinen Landsleuten sprach und spätere Autoren dies aufzeichneten, dann sprach er „im Auftrag Gottes“ zu seinen Landsleuten und das in seiner Zeit. Er sprach weder zu Christen, noch zu Moslems und auch nicht zu den Israeliten der heutigen Zeit, sondern zu Menschen in seiner Zeit. Wenn wir uns heute von diesen Worten angesprochen fühlen, dann darf man eben nicht außer Acht lassen was der historische Grundgehalt dieser Botschaft ist! Alles andere ist nun einmal dann Interpretation und Auslegung und hat wahrlich nichts mit dem Dawar Gottes an Jesaja zutun. Wer das behauptet, der entfremdet dieses Schriftgut nicht nur von dem Verfasser, sondern entfremdet - um bei Jesaja zu bleiben - Gottes Auftrag an Jesaja.
Wir können die Schriften der Bibel sehr wohl als Wegweisung anerkennen, können sehr wohl aus ihnen lernen und wir können diese sehr wohl auch für unser ganz persönliches Religions- oder Glaubensverständnis nutzen, aber nicht in dem Sinne, dass wir die Urheberschaft und Verfasserschaft auf unsere religiösen Bedürfnisse Zurechstutzen, um dann zu behaupten Jesaja hätte Dies oder Jenes gesagt oder gemeint. Wir können sagen Jesaja sprach zu seinem Volk damals Dies und Jenes und dies tat er aus seinem Dawar von Gott, in seiner Zeit und den historischen und religiösen Gegebenheiten.
Faktisch heißt das, wer sagt Jesaja hätte einen Jesus oder Messias angekündigt, der Lügt, denn Jesaja tat das nicht! Jesaja kannte keinen Jesus und sprach auch nie von ihm und er sprach auch nicht von dem Messias, sondern immer von Messiasse (Mehrzahl) und dies in ganz verschiedenen Bedeutungen – immer bezogen auf sein Volk Israel. Darüber hinaus sprach jedoch Jesaja sehr wohl davon, dass sich der Weltengott auch der Völker der Erde höchst persönlich annehmen wird – im Guten wie im Schlechten – und zugleich startete Jesaja im Auftrag Gottes einen Aufruf an die Völker der Erde – in seiner Zeit – sich dem Gott Israels zu unterstellen. Er sagte nichts von einem Messias dem man nachfolgen soll und auch nichts von einer Jungfrau die einen Menschengott erzeugen wird, nichts von einem leidenden Gott der an einem Kreuz sterben müsse um die Menschheit mit Gott zu versöhnen, etc, etc. Das alles ist Theologie, Interpretation, Auslegung und hat wahrlich nichts mit den Anliegen des historischen Jesaja zutun.
Insofern ist die Darstellung von Alef über den Jesajatext völlig korrekt und sachlich richtig.
Wenn also Nitro, JCDW und Andere etwas anderes in diesen Texten lesen, so ist es legitim, hat aber letztlich nichts mit dem Verfasser Jesaja und dessen klar bekundeten Absichten zutun. Es sind Ausdeutungen und als solche muß man diese auch klar benennen. Es wäre wirklich Ratsam einmal den Unterschied zwischen Theologie und Exegese und dem Textgehalt der historischen Bibel zu erkennen. Oder um es einmal mit einem christlichen Theologen auf den Punkt zu bringen: „Mit der Bibel können wir Alles und Nichts theologisch belegen, es kommt ganz auf den Standpunkt an“.
Nun fehlt abschließend dazu noch der empirische Beweis meiner Aussagen und dieser ist aus Religionswissenschaftlicher Sicht leicht zu erbringen. Es gibt deshalb so viele Konfessionen, Sekten, Kirchen, Gemeinschaften, etc innerhalb des Christentums, weil zu verschiedensten Zeiten, in verschiedensten Kulturen, verschiedenste theologische Ansätze zu Aussagen der Bibel gewertet und als verbindliche Lehre definiert wurden. Diese Lehren sind darüber hinaus in allen diesen Religionsgruppen mehrfach verändert, gedeutet und neu definiert worden. Das beweist die Theologiegeschichte der letzten 2000 Jahre mehr als deutlich. Das darüber hinaus immer wieder der sog. HL. Geist als Offenbarer für so manche Theologien und Lehren herhalten musste, was dann die Unterschiedlichkeit der jeweiligen Konfession legitimieren sollte ist ein Fakt, der nicht nur im Christentum zu ganz absonderlichen Blüten führte und das schließt die sog. Religionskriege in sich mit ein. Hier fragt nicht zu unrecht ein bekannter Religionswissenschaftler der Neuzeit: „Wie viele Offenbarungsgeister kennt eigentlich das Christentum und wie veränderlich sind die Meinungen dieser Offenbarungsgeister?“
Nun, auch die kath. Kirche hat sich von so mancher offenbarten Lehre verabschiedet und so manch andere Kirche auch und es bleibt zu hoffen, dass doch irgendwann etwas mehr Sachlichkeit in die Glaubensdebatte einzieht und den historischen Gegebenheiten Rechnung getragen wird. Es erspart der Menschheit so manch neue Religion oder Sekte.
Absalom
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