http://www.youtube.com/watch?v=VjbCp7w5Oww
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Studie über Kinder bei Homosexuellen Paaren widerlegt:
https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=HNZ_NFWvYwc
extra für micha :)
http://www.youtube.com/watch?v=xyx1F9Bv4Q4
Das weiße Taschentuch
Der Mann saß auf dem Gehsteig neben der Bushaltestelle und starrte zu
Boden. Ein paar Leute musterten ihn im Vorübergehen neugierig und
fragten sich, was das wohl für einer sein möchte, der Landstreicher mit
den hängenden Schultern und den durchgelaufenen Schuhen. Er aber
bemerkte ihre Blicke gar nicht. Er war ganz in Gedanken versunken. Hier,
in dieser Stadt hatte er seine Kindheit verbracht. Vor mehr als zwanzig
Jahren war er in einem kleinen roten Ziegelhaus am Ende der nächsten
Straße aufgewachsen. Ob es überhaupt noch stand? Vielleicht war es ja
inzwischen abgerissen worden! Hoffentlich hatten sie wenigstens die
Stiefmütterchen nicht zertrampelt! Komisch, wie gut er sich noch an die
Stiefmütterchen erinnerte und an die Schaukel, die ihm sein Vater gebaut
hatte, und an den Gartenweg, auf dem er das Fahrradfahren gelernt
hatte. Monatelang hatten die Eltern gespart, um ihm das Fahrrad zu
kaufen. Zehn Jahre später war aus dem Fahrrad ein Motorrad geworden. Er
selbst ließ sich zu Hause immer seltener blicken. Er verdiente gut und
hatte eine Menge Freunde. Vater und Mutter erschienen schrecklich
altmodisch und langweilig. Da war es in den Kneipen und Discos doch
lustiger!
Heute erinnerte er sich nicht mehr gern an diese Zeit, vor allem nicht
daran, wie ihm die Schulden über den Kopf gewachsen waren, und er an
einem Sonntagnachmittag bei den Eltern aufgetaucht war, um sie um Geld
zu bitten. Sie hatten sich so über seinen unerwarteten Besuch gefreut,
dass er es nicht übers Herz brachte, sie um Geld zu bitten. Doch er
wusste genau, wo sein Vater das Portemonnaie aufbewahrte, und als die
Eltern dann für einen Augenblick in den Garten gingen, hatte er sich
einfach “bedient”.
Seither hatte er sie nicht mehr gesehen. Er traute sich nach dem, was er
getan hatte, nicht mehr nach Hause; und die Eltern hatten jede Spur von
ihm verloren. Er war ins Ausland gegangen, und sie erfuhren nichts von
seinem rastlosen Umherziehen und auch nichts von seinem
Gefängnisaufenthalt. Doch dort, in seiner Zelle, hatte er viel an sie
gedacht. Manchmal, wenn er sich schlaflos auf seiner Pritsche umher
wälzte und der Mond unheimliche Figuren auf die Zellenwand malte,
wünschte er sich: “Wenn ich erst wieder aus diesem Loch heraus bin,
möchte ich sie noch einmal sehen – wenn sie überhaupt noch leben – und
wenn sie mich sehen wollen.”
Als er seine Strafe abgesessen hatte, fand er in der Großstadt eine
Arbeitsstelle; aber Ruhe fand er nicht. Irgendetwas zog ihn heim, eine
Sehnsucht, die sich nicht zum Schweigen bringen ließ. Auf Schritt und
Tritt wurde er an das kleine rote Backsteinhaus erinnert, an das Beet
mit den Stiefmütterchen, an ein Kind auf einer Schaukel, an einen
Jungen, der von der Schule nach Hause rannte…
Er wollte nicht völlig mittellos daheim ankommen, und so legte er einen
großen Teil der Reise zu Fuß oder per Anhalter zurück. Er hätte schon
längst da sein können, aber dreißig Kilometer vor dem Ziel waren ihm
plötzlich Zweifel gekommen. Was hatte er überhaupt für ein Recht,
einfach so bei den Eltern hereinzuspazieren? Würden sie in dem
heruntergekommenen Kerl, der er geworden war, überhaupt den Jungen
erkennen, den sie geliebt hatten und der sie so schreckliche enttäuscht
hatte?
Er kaufte sich etwas zu essen und setzte sich unter einen Baum, wo er
für den Rest des Tages sitzen blieb. Der Brief, den er am Abend in den
Briefkasten einwarf, war sehr kurz, aber er hatte sich stundenlang damit
abgemüht. Er endete mit den Worten: “Ich weiß, es ist verrückt,
anzunehmen, dass Ihr mich überhaupt noch einmal sehen wollt. Aber
entscheidet selbst. Ich werde früh am Donnerstagmorgen ans Ende unserer
Straße kommen. Wenn Ihr mich zu Hause haben wollt, hängt ein weißes
Taschentuch ins Fenster meines alten Zimmers. Wenn ich es dort sehe,
werde ich zu Euch kommen; wenn nicht, werde ich dem alten Haus noch
einmal zuwinken und mich wieder davonmachen.” Und nun war der
Donnerstagmorgen da. Der Anfang der Straße war gleich um die Ecke.
Dieses Haus gab es jedenfalls noch!
Auf einmal hatte der Mann es nicht mehr eilig! Er setzte sich einfach
auf den Gehsteig und starrte die Steine an. Ewig konnte er den
Augenblick der Wahrheit natürlich nicht hinauszögern. Vielleicht waren
die Eltern inzwischen ausgezogen? Wenn kein Taschentuch da war, wollte
er wenigstens ein paar Erkundigungen in der Stadt einziehen, ehe er sich
wieder auf den Weg machte. Er wagte gar nicht daran zu denken, was er
tun sollte, wenn seine Eltern zwar noch dort wohnten, ihn aber nicht
mehr sehen wollten.
Mühsam und mit schmerzenden Gliedern erhob er sich. Er war steif vom
Übernachten im Freien, und die Straße lag noch im Schatten. Mit
unsicheren Schritten wankte er zu der alten Platane hinüber, von der
aus, das wusste er, das Backsteinhaus deutlich zu sehen sein würde. Bis
dahin hielt er den Blick zu Boden gesenkt. Mit fest zusammengekniffenen
Augen stand er ein paar Augenblicke unter den Ästen des Baumes. Dann
holte er tief Luft und wagte den Blick zum anderen Ende der Straße
hinüber.
Und dann stand er da und starrte und starrte…
Das kleine Backsteinhaus wurde bereits von der Sonne beschienen – aber
es war kein kleines rotes Backsteinhaus mehr. Aus allen Fenstern hingen
Betttücher und Kissenbezüge, Handtücher und Tischdecken, Taschentücher
und Servietten; und aus dem Dachfenster flatterte eine große weiße
Gardine quer über das ganze Dach. Rotes Backsteinhaus? Ein Schneehaus,
das da in der Sonne glänzte!
Der Mann warf den Kopf zurück und stieß einen Freudenschrei aus. Dann
rannte er über die Straße und durch die weit geöffnete Haustür direkt in
sein Elternhaus hinein.
&schaukelstuhl
(Patricia St. John)