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Die Frage, ob es Gott gibt, ist die grundlegendste Lebensfrage überhaupt. Zwar wird sie heute – in einer Zeit der Wissenschaftsgläubigkeit und eitler Selbstinszenierung – immer seltener gestellt, aber letztlich entscheidet die Antwort auf diese Frage auch über alle weiteren Rätsel unseres Seins: Hat das Leben einen tieferen Sinn? Haben wir als Menschen bestimmte Aufgaben? Wird unser Schicksal – und letztlich das der ganzen Schöpfung – von einem höheren Willen, einem übergeordneten Bewußtsein geleitet? Es wäre also wirklich gut zu wissen, ob es einen Schöpfer und Erhalter des Lebens gibt – nicht nur an ihn zu glauben, sondern wirklich zu wissen, daß Gott existiert. Aber ist das möglich? Lassen sich handfeste Beweise finden? Gibt es überhaupt einen sicheren Weg zur Gotterkenntnis?
Wenn wir über Gott sprechen, so sind es in Wirklichkeit doch nur Vorstellungen, über die wir sprechen. Unsere inneren „Bilder“ vom Schöpfer, die Eigenschaften und Fähigkeiten, die wir ihm zuschreiben, entstehen als Folge dessen, was wir gelernt, gehört oder erlebt haben. Die Gottesbilder einzelner Menschen sind daher sehr unterschiedlich geprägt. Und sie werden auch kaum in Frage gestellt, weil es keine allgemein akzeptierte Definition zum Begriff „Gott“ gibt, die als Maßstab für unsere subjektiven Vorstellungen dienen könnte.
Wenn wir jedoch nach Beweisen für die Existenz Gottes suchen, kommen wir nicht umhin, zunächst die gängigen Vorstellungen zu hinterfragen. Denn es muß klar sein, wofür wir Beweise suchen.
Ist Gott eine Person?
Zu den christlichen-theistischen Vorstellungen, die auch in bedeutende Kunstwerke eingeflossen sind, gehört das Bild von einer alten, ehrwürdigen Person mit langem Bart, Hirtenstab und Priesterkleid. „Gottvater“ wird als überirdisch-machtvoller Mensch dargestellt und als Person gedacht, mit der man Zwiegespräche halten und vielleicht auch über Schicksalsfügungen verhandeln kann.
Vielen Menschen erscheint ein solches Bild heute naiv, und der zunehmende Atheismus in unserer Gesellschaft gründet sich wohl auch darin, daß kritische Gemüter an einen solchen „menschlichen Gott“ nicht glauben können oder wollen.
Im Grunde ist es auch richtig und hoch an der Zeit, solche Vorstellungen endgültig über Bord zu werfen – nicht die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme im Gebet, aber alle Gedanken, die den Schöpfer als „Übermenschen“ erscheinen lassen.
Im „Alten Testament“ der Bibel, im 2. Buch Mose, findet man das Gebot: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen […] des, das oben im Himmel ist …“ Diese Warnung vor falschen Vorstellungen, die den Schöpfer verkleinern und vermenschlichen, wurde in der Kirchengeschichte oft mißachtet. Vielleicht deshalb, weil es für den einfachen Menschen zu schwer gewesen wäre, an etwas Unvorstellbares, Wesenloses zu glauben und sich einer solchen Macht anzuvertrauen.
Inzwischen aber sollten wir meines Erachtens die Reife für die Erkenntnis besitzen, daß das höchste Bewußtsein, die alles gestaltende und belebende Macht, die wir „Gott“ nennen, weltenweit über allem Menschlichen steht und weder durch ein Bild dargestellt, noch durch ein Gleichnis treffend beschrieben werden kann. Deshalb ist selbstverständlich auch die Vorstellung eines männlichen „Vatergottes“ nur ein Behelf, um die natürliche Autorität der Gottheit gegenüber ihren Geschöpfen zu verdeutlichen.