Lieber Samu!
Dies ist jetzt mindestens der 4. Versuch, Dir auf Dein Posting vom 19.02.07 6Uhr45 zu antworten. Zuerst wollte ich
mit Dir streiten, versuchen, Deine Fragen zu widerlegen, aber das wäre nicht im Sinne Gottes.
Außerdem sind Deine Ausführungen richtig und mir größtenteils bekannt. Was ich noch nicht wußte und recherchieren
müßte, glaube ich Dir, denn ich weiß, daß Du sorgfältig arbeitest.
Dann war ich vermessen und wollte Dich zu einer Art "Gottesurteil" herausfordern und Dich fragen, wie diese
Schriften denn so verabscheuungswürdig sein können, wenn der Geist Gottes doch im Verlaufe der Jahrhunderte
so unendlich viele Menschen gerade durch diese Schriften zur Buße und zur Umkehr und zum Glauben an den Gott
Abrahams, Isaaks und Jakobs hat rufen können.
Aber ich kenne schon Deine Antwort, in der Du mir vorgehalten hättest, wieviel Unrecht, Mord, Tod, Unglück und Verzweifelung im Verlaufe der Geschichte Menschen anderen Menschen mit Berufung auf diese Schriften zugefügt haben.
Wenn man auch das, was Menschen MIT diesen Schriften machen nicht unbedingt mit den Schriften selbst gleichstellen kann, auch dieser Anlauf einer Erwiderung ginge ins Leere.
Aber mein Herz brennt, und da niemand anderes erwidert, muß ich einfach noch einiges zu Deinem Posting anmerken.
Wenn man die Art und Weise, in der Wortkritiker an die Schriften des neuen Testamentes herangehen beobachtet, so fällt eines auf: Nie werden die Schriften als das behandelt, wie sie vom Schreiber eigentlich gemeint waren.
Man nimmt die Evangelien und handelt sie ab, als handele es sich um Biopraphien vom Leben und Wirken Jesu Christi.
Der Kritiker stellt fest, daß Datumsangaben und Querverweise fehlen, über ganze Lebensabschnitte garnicht berichet wird. Man legt die Evangelien nebeneinander und meint, Widersprüche zu sehen oder hineininterpretieren zu können, weil der eine Dinge berichtet, die der andere Evangelist auslässt und manchmal scheinbar über gleiches Geschehen anders berichtet wird. Dabei wird jedem unvoreingenommenen Leser schnell klar, um was es sich bei den Evangelien tatsächlich handelt,
wenn er nur bereit ist, mit offenem Herzen zu lesen. Da sind Jünger Jesu, oder denen nahestehende Personen die nichts weiter wollen, wie die Botschaft, die Lehre des Meisters zu verkünden. Alles rankt sich um die Worte Jesu, und um seine Wundertaten.
Der Versuch des gläubigen Nachfolgers, die Lehre des Meisters anderen nahezubringen. Alles andere (chronologische Reihenfolge, Vollständigkeit und anderes, was dem Ersteller einer wissenschaftlichen Biographie von Bedeutung wäre, ist reine Nebensache. Hier erzählen Menschen zeugnishaft von ihrem gemeinsamen Erleben mit ihrem Meister. Warum nimmt man diese wunderbaren Berichte und Verkündigungen nicht so, wie die Schreiber sie gemeint haben?
Genauso unlauter geht man mit den Briefen um, die einen ausgesprochen persönlichen Character haben, an bestimmte Personen in bestimmten Situationen gerichtet sind und nie als "theologisch dogmatische Grundlehrwerke" gemeint waren.
Ist es nicht unlauter, diese Brife trotzdem so zu behandeln und abzulehnen, weil sie eben nicht "wissenschaftlich" genug abgefasst sind?
Die Christen der ersten Jahrhunderte kannten nur eine heilige Schrift: Das alte Testament. Das daneben noch viele weitere Schriften kursierten, ist nichts Ungewöhnliches und bis heute zu beobachten. Sie wurden aber nicht der Heiligen Schrift gleichgesetzt. Abweichlern, die das alte Testament ablehnten oder als überholt betrachteten, wurde zu jeder Zeit entschieden entgegengetreten. Markion(ca 140 n.Chr.), der Sohn des Bischofs von Pontus ist der erste mir bekannte Abweichler. Er lehnte das alte Testament ab und stellte einen Kanon neuer Schriften zusammen, der übrigens in großen Teilen bereits dem uns bekannten NT entsprach. Markion und seine Anhänger wurden (auch wegen Verbreitung
gnostischer Lehren) exkommuniziert und das alte Testament als Heilige Schrift bestätigt. Erst weitere 300 Jahre später rangen sich die Kirchenväter dazu durch, einige für "apostolisch" gehaltene Schriften zu kanonisieren und dem alten Testament als kleines neues Testament hinzuzufügen. Dies genötigt durch immer wieder aufkommende Irrlehren, den man etwas "Verbindliches" entgegensetzen mußte.
Übrigens: der letzte größere Versuch von Abweichlern, das Christentum zu "entjudifizieren", geschah in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, wo man versuchte, in der EKD die "Deutschen Christen" zu etablieren.
Dagegen sammelte sich jedoch sofort die "Bekennende Kirche" mit deutlichen Bekenntnissen.
Die "Deutschen Christen" vertraten eine der NS-Ideologie weitgehend angepaßte Theologie (die Erwählung Deutschlands als Volk Gottes, die besondere Sendung Hitlers durch Gott, den Glauben an einen "deutschen" heldenhaften Christus, die Herabstufung beziehungsweise Ablehnung des Alten Testaments, die Überzeugung, das Judentum stehe auf ewig unter Gottes Strafe wegen der Ermordung Christi).
Bonnhoeffers öffentliche Erwiederung:
"... Gott preist seine Treue dadurch überschwenglich, daß er Israel nach dem Fleisch, aus welchem Christus nach dem Fleisch geboren ist, trotz aller Untreue auch nach der Kreuzigung des Christus noch die Treue hält. Er will die Erlösung der Welt, die er mit dem Herausruf Israels angefangen hat, mit den Juden auch vollenden (Römer 9-1 1). Darum bewahrt er von Israel nach dem Fleisch einen heiligen Rest, der weder durch Emanzipation und Assimilation in einer anderen Nation aufgehen,
...
noch durch pharaonische Maßnahmen ausgerottet werden kann. Dieser heilige Rest trägt den character indelebilis des auserwählten Volkes. ..."
(Dietrich Bonhoeffer Werke (DBW 12): Berlin 1932 - 1933, Christian Kaiser Verlag, Gütersloh 1997, S. 402ff Auszug)
An anderer Stelle stellt er deutlich heraus, die Messiashoffnung sei Juden und Christen gemeinsam, für die Juden in der Form des kommenden, für die Christen in der Gestalt des wiederkommenden Messias, auch wenn die Christusfrage zwischen ihnen strittig sei. (gleiche Quelle, Seite 308)
Er konnte es auch noch plakativer ausdrücken:
"Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen."
[Dietrich Bonhoeffer]
Er war bereit, für diese seine Überzeugung sein Leben zu lassen.
Es bleibt also festzuhalten, daß für Christen aller Zeiten (abgesehen von einigen Abweichlern) an den Gott Abrahams, Issaks und Jakobs glauben, das alte Testment als festen Bestandteil der Heiligen Schrift ansehen.
Verbleibt die Frage, warum es die Apostel nicht für nötig erachtet haben, Biographien unseres Herrn sowie Theologisch- dogmatische Grundlehrwerke für die Nachwelt zu erstellen.
Ich denke, dafür gibt es zwei Gründe. Den ersten habe ich oben geschildert, man fühlte sich eingebunden in den alttestamentarischen Heilsplan Gottes, der durch die Geburt, das Leben und Sterben Christi auch den Heiden bekannt gemacht wurde, in den sie durch Buße, Glaube und Taufe eingeschlossen wurden und auf die Wiederkunft des Messias warteten.
Gemeinsam mit den Juden. Diese warteten auf ihren Königsmessias, die Christen auf die Wiederkunft ihres Meisters und Erlösers in Herrlichkeit.
Und man glaubte so sehr an eine baldige Rückkehr des Herrn und Meisters, daß die Annahme, es könne noch mehr Generationen vorher geben, schon fast wie Unglaube angesehen wurde.
1. Thess. 4, 15ff:
15 Denn das sagen wir euch mit einem Wort des Herrn, daß wir, die wir leben und übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, denen nicht zuvorkommen werden, die entschlafen sind.
16Denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Befehl ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel, und zuerst werden die Toten, die in Christus gestorben sind, auferstehen. 17Danach werden wir, die wir leben und übrigbleiben,
zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken in die Luft, dem Herrn entgegen; und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit.
Lieber Samu,
Du hast herausgestellt, was Juden und Christen trennt. Ich möchte versuchen herausstellen, was Juden und Christen eint.
-Der Glaube an den Gott Abrahams, Issaks und Jakobs, der Heilige, Ewige, Allmächtige, Allwissende, Anfang und Ende aller Dinge
-Die Zuversicht und die Hoffnung auf Gottes Gnade, die er dem Bussfertigen gewährt
-Das Warten auf den kommenden Messias
In diesem Sinne von ganzem Herzen
Shalom
Rudi